Gelsenkirchen. . Es gibt sie überall im Revier: die großzügig dimensionierten Kaufhäuser in den Innenstädten, in denen früher Hertie und davor Karstadt residierte. Viele dieser Gebäude stehen seit Jahren leer. Was tun mit den Immobilien? In Gelsenkirchen-Buer nahmen die Nachbarn die Sache selbst in die Hand.

Gefühlt ist es gerade voll, sehr voll, und viele Leute streifen durchs Haus mit diesem typischen Blick auf frisch gelandete Geschäfte: „Mal schauen, was es da alles gibt.“ Mode gibt es da, Spielzeug und Accessoires, Drogerieartikel, einen Chinamann und das kleine Bistro des seit vielen Jahren bueranerisch verheirateten Yasser el Sobky, der aus Ägypten kam: „Jedes Geschäft ist Risiko“, sagt der 44-Jährige: „Wir sind bisher recht zufrieden.“

Bis man das „bisher recht“ streichen kann, arbeitet seine Frau weiter als Erzieherin. Denn natürlich kann man keine Bilanz ziehen, auch nicht ansatzweise, so wenige Tage nach der Eröffnung des „Linden-Karrees“ in Gelsenkirchen-­Buer. Aber dass es überhaupt wieder existiert als Geschäftshaus mit voll vermietetem Erdgeschoss, das ist das Wunder von der Hochstraße.

Denn das Karree war zuvor eines dieser verlassenen Hertie-Häuser: Dunkel, leer, verklebt, schmuddelige Scheiben vor 2000 Quadratmetern verwahrloster Geschäftsräume – und das mal fünf Etagen. Der Stein gewordene Umsatzkiller für die Nachbargeschäfte, und wohin das schließlich führen kann, das sieht man in Herne: Bis zum leeren Hertie-Haus ist die Fußgängerzone eigentlich ganz in Ordnung, ab dort wird sie peinlich.

Verantwortlich: Bueraner Bürger mit Geld

Dann lieber Buer, wo die Menschen das neue alte Haus von 1912 an ihr Herz drücken. „Das gefällt mir sehr gut“, sagt Elke Hoppe. Ähnlich sieht das Andreas Claessen: „Dieser Knotenpunkt beim Gang durch die Stadt hat mir in den letzten Jahren gefehlt.“ Und Siegbert Panteleit erinnert sich an den Eröffnungssamstag so: „Buer war seit Jahrzehnten nicht mehr so voll.“

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Panteleit, muss man dazu sagen, ist der Sprecher der Investoren-Gruppe, die das hier geleistet hat: der „Interessengemeinschaft Hochstraße 40 – 45“. 16 Bueraner Bürger mit Geld sind das, die sich etwas geheimniskrämerisch geben; sie haben das Haus auch nicht gerettet aus Nächstenliebe, sondern aus Sorge um Geschäfte, Mieten und Immobilienpreise in Buer – aber dem Gemeinwohl dient es doch. Und: Sie brachten nicht nur Geld mit, sondern auch ihre Vernetzung, ihre Kontakte und (Geschäfts-) Freunde. „Wenn hier ein Graffito auftaucht, wird telefoniert, und in zwei Stunden ist es weg“, sagt Panteleit.

Mehrgeschossige Geschäfte sind nahezu tot

Freilich haben sie auch gar nicht erst versucht, den Handels-Tanker bis unters Dach mit Geschäften zu füllen – mehrgeschossige Geschäfte sind nahezu tot. In die erste Etage zieht im November ein Fitness- und Wellness-Anbieter, in die 2. zieht 2015 die Stadtbücherei, und die 3. und die 4. werden umgebaut zu Altenwohnungen. Die Nachfrage stand schon vor Panteleit in der Person eines alten Karstadt-Mitarbeiters: „Er sagte, er hat hier sein Leben verbracht und so viel erlebt. Da wolle er auch hier sterben.“

Kann das ein Modell sein für andere Hertie-Hüllen? Die „Initiative der Hertie-Städte“ umfasste 2009, als alles endete, 31 leere Kaufhäuser. Zwölf sind es noch. Doch schon im nahen Gladbeck, in das man aus Buer herüber laufen kann, ohne sich größer zu verausgaben, erfolgt überwiegendes Schütteln des Kopfes. „Das ist bei uns undenkbar“, sagt Peter Breßer-Barnebeck, Chef der Wirtschaftsförderung. Gladbeck könne keine Etage mieten, wie Gelsenkirchen es tut mit der Bücherei. Auf der nächsten Immobilien-Messe „Expo Real“ wird Gladbecks Hertie wieder angeboten – wie die anderen elf Häuser.