Bonn. . Fünf Monate nach dem Messerangriff auf Polizisten in Bonn hat der angeklagte Salafist die Gewalttaten mit dem Islam begründet. „Wer den Propheten beleidigt, verdient den Tod“, sagte der Deutsch-Türke (26) vor dem Bonner Landgericht. Der deutsche Staat habe es der rechtsextremen Partei Pro NRW „leider“ erlaubt, Mohammed-Karikaturen zu zeigen.
Er ist nur der Erste vor Gericht, und vielleicht war er am 5. Mai in Bonn der Gewalttätigste. Aber der Auftritt des Angeklagten Murat K. lässt ahnen, wie schwer sich die deutsche Demokratie noch tun wird mit gewaltbereiten Salafisten. Mit Leuten wie diesem 26-Jährigen, dem man mit dem Arm des Gesetzes gar nicht zu winken braucht. Weil sie es „normal“ finden, Polizisten anzugreifen, die die Meinungsfreiheit schützen: „Das sind eure Werte, leider.“
So weit weg sind diese Welten voneinander und prallten doch an jenem Samstag zusammen: als die rechtsextreme Partei Pro NRW im Wahlkampf vor der König-Fahd-Akademie Karikaturen des Propheten Mohammed emporreckte und Gegendemonstranten vom „Rat der Muslime“, angereist aus dem ganzen Land, mit Steinen warfen, Flaschen und abgebrochenen Zaunpfählen. Nicht auf die Parteimitglieder – auf die Polizei. „Normal“ findet Murat K. auch das: „Wenn der deutsche Staat erlaubt, die Karikaturen zu zeigen, dann sind Polizisten darin verwickelt.“ Und deshalb ein legitimes Angriffsziel?, fragt der Vorsitzende Richter Klaus Reinhoff erstaunt. „Ja.“
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Der Mann, der so denkt, ging damals besonders perfide gegen die Hundertschaften vor: tänzelte über eine gesperrte Kreuzung, duckte sich geschwind, stach mit seinem Messer, das er angeblich immer dabei hat, dort zu, wo Bereitschaftspolizisten unter Helm und schusssicheren Westen ungeschützt sind – in die Beine. Ein 35-Jähriger trug eine 16 Zentimeter lange, tiefe Wunde davon, kann bis heute nur in Teilzeit arbeiten. Eine Kollegin, 30, wurde zweimal getroffen. Es gibt keinen Zweifel und wenig Anlass zu juristischer Vorsicht: Auf den Videos, die im Gericht im lautstarken Originalton abgespielt werden, ist alles deutlich zu erkennen.
Murat K. rechtfertigt Tat mit dem Islam
Und Murat K., angeklagt der schweren Körperverletzung, des Landfriedensbruchs und des Widerstands gegen die Staatsgewalt, widerspricht ja auch gar nicht. Im Gegenteil. Für ihn ist die Sache ebenso klar wie einfach: „Der Islam erlaubt nicht, den Propheten zu beleidigen. Wer ihn beleidigt, verdient die Todesstrafe. Als gläubiger Moslem muss das meine Meinung sein.“ Eine Berechtigung zur Gewalt? „Wenn der Islam mir das vorschreibt: natürlich!“ Der Saal schnappt hörbar nach Luft.
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Murat K. indes wippt entspannt auf seinem Stuhl. Demonstrativ hat er sich gesetzt, als die 3. Große Strafkammer des Bonner Landgerichts hereinkam, eine Nichtigkeit im Vergleich zu den Messerstichen im Mai, aber doch eine Ansage. Amüsiert schaut er aus seinem Parka und ansonsten so aus, wie das Klischee es für einen Islamisten vorsieht: Kopftuch, dichter, langer Bart, weite Hosen. Ein hübscher Junge, das verraten seine Augen, einer, der mal ein passabler Fußballer war, Breakdancer, Mitglied einer „Partyszene“. Aber das waren die Zeiten, in denen er „kein guter Mensch“ war, denn: „Ich praktizierte nicht meine Religion.“
Allerdings kannte er die auch gar nicht, wurde geboren in eine türkische Familie im hessischen Eschwege, die den Sohn den Islam nicht lehrte. Und die ihm, ebenso wenig wie Lehrer und Trainer, keine Antworten geben konnte auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Murat muss um die 20 gewesen sein, als er danach fragte, da hatte er schon Jobs geschmissen und eine Lehre, weil er mit den Kollegen nicht zurecht kam: „Sie haben über Frauen und Religion respektlos geredet. Jeder hat seinen eigenen Lebensstil.“
"Ich fürchte mich nicht vor einer Strafe"
Seiner ist nun der des gläubigen Moslems, der seiner „Brüder“. „Ich habe nachgedacht und kam auf den Weg des Islam.“ Wer ihn genau leitete, sagt der 26-Jährige nicht, das Wort „Salafismus“ fällt nicht im Saal. Und doch ist dieser erste Prozesstag darüber ein Lehrstück. „Ich fürchte mich nicht vor einer Strafe“, sagt Murat K. – für den Rechtsstaat dürfte genau diese Haltung problematisch sein.
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Über 100 weitere Demonstranten wurden am 5. Mai festgenommen, einige stehen demnächst vor Gericht. Wegen einer Gewalt, wie sie keiner der Polizisten im Zeugenstand „je zuvor erlebt“ hat. Einer Gewalt, die nicht nur bei ihnen ein „Gefühl der Ohnmacht“ hinterließ – ein ganz ähnliches Gefühl beschleicht am Mittwoch auch das Prozesspublikum in Bonn.