Essen. Das Urteil gegen das Eon-Kraftwerk in Datteln könnte weitere Anlagen an den Lippe-Auen kippen. Gefährdet sind die Kraftwerks-Projekte in Lünen und Marl. Zum Hemmschuh könnte die FFH-Richtlinie der EU werden. Sie ist der Schrecken der Großindustrie und der städtischen Planer.

Der gerichtlich verfügte Baustopp für weite Teile des Eon-Kohlekraftwerks in Datteln hat für sich genommen schon eine enorme Schlagkraft. Gewerkschaften, SPD und die NRW-Regierung sorgen sich um den Ruf des Industriestandorts NRW, die Energie-Branche schaut fassunglos nach Datteln.

Immerhin steht in der Ruhrgebietsstadt eine 1,5-Milliarden-Euro-Investition, die zur Hälfte fertig gestellt ist, zur Disposition. Die Aufhebung der Baugenehmigung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat nach Lesart des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) zudem weit reichende Folgen für die geplanten Kraftwerke in Lünen (Evonik plant eine Anlage, die von Trianel ist im Bau) sowie die Kraftwerksplanung in Marl (Evonik). Dies leitet der BUND als Folge eines Teils des OVG-Urteil ab, der sich auf die EU-Richtlinie Flora Fauna Habitat (FFH) beruft.

Schrecken der Industrie

FFH – der Schrecken der Großindustrie und städtischer Planer hat einen Namen. Dabei ging es der Europäischen Union (EU) 1992 bei Erlass der Richtlinie lediglich darum, dem Schutz bestimmter Arten und Lebensräume zu ihrem Recht zu verhelfen. So richtig ernst genommen hat die Richtlinie in Deutschland zunächst kaum jemand – außer den Grünen. Als der Druck auf die Politik seitens der EU groß genug geworden war, die Richtlinie endlich auch in Deutschland umzusetzen, war es in Nordrhein-Westfalen die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn, die für die Ausweisung der FFH-Gebiete kämpfte.

Ihr Gegenpart in der damaligen rot-grünen Regierung von Ministerpräsident Wolfgang Clement, der durchaus als wirtschaftsfreundlich galt, war Georg Wilhelm Adamowitsch, Chef der Staatskanzlei. In dem Geschacher um festlegung der FFH-Flächen, so berichten es Beteiligte, habe sich jedoch letztlich Höhn immer durchgesetzt. Ein Fall allerdings ist bekannt, wo es anders ausging. Adamowitsch konnte verhindern, dass eine Fläche rund um den Köln-Bonner Flughafen als Vogelschutzgebiet ausgewiesen wurde. Dies hätte die Betriebserlaubnis des Airports gefährdet.

Artenschutz mit sehr hohen Hürden für Ausnahmen"

Heute existieren in NRW 518 FFH-Gebiete und 25 Vogelschutzgebiete, die zusammen auf einen Anteil an der Landesfläche von 8,1 Prozent kommen. Das Gebiet entspricht etwa einer Fläche von annähernd 400 000 Fußballfeldern. Die FFH-Fläche, so Thomas Krämerkämper vom BUND, setze einen Tötungs- und Artenschutz „mit sehr hohen Hürden für Ausnahmen" um. Die FFH-Richtlinie sei allerdings erst jetzt bei den Gerichten angekommen. Dafür aber mit Macht, siehe Datteln: Auch die „fehlerhafte FFH-Vorprüfung und eine unzureichende Berücksichtigung des Naturschutzes", so die Münsteraner Verwaltungsrichter, „führen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplan".

Der FFH zum Durchbruch verholfen hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ende 2006, das im Falle einer Ortsumgehung Halle keinerlei weitere Beeinträchtigungen eines FFH-Gebiets zuließ. Für den Kreis Recklinghausen könnte das schwerwiegende Folgen haben. Rund 40 Kilometer Lippe-Auen sind FFH-Gebiet. Unmittelbar betroffen davon seien die Kraftwerke Lünen, aber auch das in Marl, so Krämerkämper. Letzteres liege einige hundert Meter außerhalb des FFH-Gebiets, gleichwohl seien Schadstoffeinleitungen in die Lippe oder Imissionen auszuschließen.

Bliebe es dabei, die FFH-Richtlinie wäre endgültig heraus aus dem Kuriositäten-Kabinett von Feldhamstern, Neunauge und Bechstein-Fledermaus. Das Neunauge etwa beschert dem Flughafen Münster-Osnabrück die wohl weltweit einzige Landebahn mit einem Teil aus Glasbausteinen: Für die bedrohte Spezies wird eine Röhe unter der Bahn gebaut – Glasbausteine braucht es, weil das Neunauge sich nur im Hellen vermehrt. Auch in Duisburg wurde die FFH-Richtlinie ernst genommen. Dort rückte die umstrittene Bayer-Kohlenmonoxid-Pipeline näher an die Wohnbebaung heran, um einem FFH-Gebiet auszuweichen.