Essen. Die Querelen um den Neubau des Eon-Kraftwerks in Datteln schlagen immer höhere Wellen. Dem Stromriesen droht ein Milliardenfiasko, der Region eine Investitionsruine.

Am Niederrhein liegt ein Ort, an dem die Menschen Eintritt bezahlen, um in einer der größten Investitionsruinen Deutschlands Spaß zu haben. Der Kühlturm des Kernkraftwerks Kalkar, das niemals in Betrieb ging, ist heute eine Kletterwand. Es gibt ein Kettenkarussell, eine Achterbahn, Hotels und Restaurants. „Wunderland Kalkar” heißt nun die Industrieanlage, für die einst vier Milliarden Euro in den Sand gesetzt wurden. In Datteln, hoch oben im nördlichen Ruhrgebiet, ist man drauf und dran, ein ebensolches Wunderland zu schaffen.

Gravierende Folgen

Es droht ein Milliardenfiasko für den Stromriesen Eon, mit gravierenden Folgen für die Region und den Industriestandort NRW. In Datteln, ganz dicht am Dortmund-Ems-Kanal, hat Eon das größte Steinkohlekraftwerk Europas nahezu fertiggebaut. „Generation Zukunft” nennt der Konzern den Neubau, der ein Zugewinn für die Umwelt sein soll: Modernste Technik, weniger Kohlendioxid. 1,2 Milliarden Euro kostet das gigantische Energieprojekt. Eine Million Euro, so schätzen Experten, verbaut Eon pro Tag. Doch womöglich wird „Datteln 4”, so der offizielle Name, keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugen.

Das Problem sind Umweltschützer und ein klagender Landwirt aus Waltrop, die Eon im Würgegriff haben. Auf hundert Seiten begründet das Oberverwaltungsgericht NRW, warum der Bebauungsplan der Stadt Datteln null und nichtig sei. Grobe Fehler bei der Bauplanung rügen die Richter. Auch beklagen sie Umweltrisiken, die offenbar bedenkenlos in den Wind geschlagen wurden. Die Bürger seien nicht bestmöglich gegen die Risiken eines Störfalls geschützt. „Das Urteil ist eine einzige, schallende Ohrfeige für die Stadt. Datteln hat sich als Erfüllungsgehilfe Eons erwiesen, statt die Belange der Bürger zu verteidigen”, sagt Thomas Krämerkämper, Projektleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Eon schweigt. Man prüfe das Urteil und werde sich zu gegebener Zeit äußern.

Falscher Standort?

Es ist eine Geschichte voller Widersprüche, die da in Datteln mit dem Kühlturm um die Wette wuchs. Da wäre vor allem die Wahl des Standorts. Nach Ansicht der Richter hätte an der Stelle, an der nun ein fast fertiges Kraftwerk steht, niemals gebaut werden dürfen. Denn laut Landesplanung ist als Standort eigentlich eine Fläche im Norden ausgewiesen – dort aber soll das Industriegebiet New Park entstehen. Stattdessen segnete Datteln ab, dass Eon das Kraftwerk weiter südlich, 400 Meter von der Wohnbebauung, errichtete. Das Gesetz schreibt einen Abstand von 1500 Metern vor.

„Eon wollte genau dieses Grundstück und kein anderes”, sagt Krämerkämper. Er wirft der Stadt vor, Entscheidungen abgenickt zu haben, ohne externen Sachverstand heranzuziehen. „Entschieden wurde auf Grundlage von Eon-Unterlagen. Ich kann verstehen, dass Ratsmitglieder bei diesen schwierigen Themen überfordert sind. Nur dürfen sie dann nicht zustimmen.” Zu Datteln, so führen die Richter aus, hätte eine Alternative bestanden. Denn aus den Planungsunterlagen gehe hervor, dass die zuständige Bezirksregierung Münster den Standort Gelsenkirchen-Scholven als ideal eingestuft habe.

Ein zweiter Kühlturm

Es gibt noch weitere Irrungen. Offenbar plante Eon von Anfang an, das Kraftwerk in Datteln zu einem späteren Zeitpunkt deutlich zu erweitern. Der WAZ liegt eine Eon-Bauzeichnung aus dem Jahr 2005 vor, in der ein zweiter Kraftwerksblock nebst Kühlturm zu erkennen ist. Ein Eon-Sprecher erklärte dazu, ein zweiter Block sei allenfalls „in ferner Zukunft” ein Thema.

Dabei weisen die Richter darauf hin, dass das Kraftwerk schon in seiner jetzigen Größe keinen Beitrag zum Klimaschutz leiste. Es sei „nicht ansatzweise sichergestellt, dass das Kraftwerk, das selbst einen erheblichen Ausstoß von Treibhausgasen verursachen wird, insgesamt zu einer Reduzierung beiträgt”. Das Dattelner Kraftwerk würde pro Jahr etwa 6,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Eon habe als Beigeladener in der Verhandlung angegeben, dass es sich nicht absehen lasse, welche Blöcke in der Region neben dem alten Kraftwerk Datteln im Gegenzug vom Netz genommen würden.

Was nun? „Die Planungsmängel sind so gravierend und tiefgreifend, dass eine spätere Heilung praktisch ausgeschlossen ist”, urteilt der BUND. In diesem Fall müsste Eon, so ist es vereinbart, das modernste Kraftwerk Europas wieder abreißen.