Herne/Essen. Eine Posse in Herne zeigt auch, warum Verkehrsschilder alleine uns nicht abhalten, schneller als erlaubt zu fahren. So erklärt’s ein Psychologe.

Die Posse um mutmaßliche „Fake“-Verkehrsschilder an einer Straße in Herne hat jüngst eine überraschende Wendung bekommen: Es waren offenbar doch nicht, wie von Polizei und Stadt lange vermutet, Anwohner, die eine Tempo-50-Straße eigenmächtig zur 30er-Zone verwandelten, sondern die Stadt selbst - jedoch womöglich widerrechtlich. Doch der Fall stellt noch weitere Fragen: Wie ist das denn generell mit dem Beachten von Verkehrsschildern?

Die Straßenverkehrsordnung (StVO) wirkt erstmal eindeutig: „Vorschriftzeichen“, wie Geschwindigkeits-Gebote, sind für alle im Straßenverkehr „zu befolgen.“ Gleichwohl gibt die Straßenverkehrsordnung auch den Rahmen vor, in dem man mit bestimmten Verkehrszeichen „zu rechnen“ hat - oder eben nicht. Juristen erklären dann, dass man bei einem plötzlichen Tempo 10-Schild auf einer Autobahn beispielsweise unter bestimmten Umständen nicht gezwungen ist, umgehend eine Vollbremsungen einzuleiten. Innerorts und „abseits der Vorfahrtstraßen“ hingegen müssen „Verkehrsteilnehmer“ laut StVO grundsätzlich z.B. „mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen (...) rechnen.“ >> Auch interessant:Nach Fake-Schilder-Posse: Stadt bietet Gnadenverfahren an

Verkehrsschilder: Die meisten im Straßenverkehr nehmen sie wahr

In Herne waren an einem Tag im Juni 2022 104 Autofahrende bei einer Verkehrskontrolle von der Polizei ‘geblitzt’ worden, weil sie zu schnell gefahren waren, sechs der vermeintlichen Raser wurde gar ein Fahrverbot aufgebrummt. Doch dann entpuppten sich die Tempo-Schilder an der Straße mit der Kontrolle, Monate später, als ein „Fake“. So jedenfalls ordnete es die Stadt Herne selbst ein. Dass sich 424 Personen am Kontrolltag an Tempo 30 gehalten hatten, obwohl sich später herausstellte, dass diese Schilder an der Straße wohl nicht gültig gewesen sind, zeigt: Den Grundsatz, Schilder erstmal zu beachten, hatte der Großteil der Fahrzeuglenkerinnen und -lenker beherzigt und er hat ihnen Knöllchen-Ärger erspart.

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Verkehrszeichen zu übersehen ist indes nicht das Hauptproblem, wenn es zu Verstößen kommt, erklärt Prof. Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie, der an der Psychologischen Hochschule Berlin forscht und lehrt. „90 bis 97 Prozent der Verkehrszeichen werden wahrgenommen“, sagt Fastenmeier. Studien aber hätten gezeigt, „wenn Versuchspersonen aufgefordert werden, nur die für sie bedeutsamen Verkehrszeichen zu nennen“, dann sinke die Wahrnehmung auf durchschnittlich 83 Prozent.

Tempo 30 missachtet? Wir prüfen jedes Schild auf seinen subjektiven Sinn

Behörden sind laut StVO gehalten, „örtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort (zu treffen; Red.), wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.“ Kein Schild also darf unbegründet aufgestellt werden. Dennoch zeigt sich laut Fastenmeier, dass wir im Straßenverkehr jedes Gebot, dem wir begegnen, auf seinen Sinn überprüfen: Dabei orientieren sich Verkehrsteilnehmer „an einem subjektiv geprägten Bild von baulicher Anlage, Verkehr und Randbebauung“, erläutert der Psychologe. Passe z.B. ein Tempo 30-Schild nicht „zum phänomenologischen Charakter der Straße“, weil die Straße optisch dazu einlädt, dass man dort schneller fährt, werde die Tempo-Vorgabe beim Befahren „subjektiv nicht akzeptiert und führt zu Reaktanz“, sagt Fastenmeier. >> Auch interessant:Fake-Schilder in Herne: Auszüge aus den Original-Mails

Wenn also statt bisher Tempo 50 an einer sonst nicht veränderten Straße Tempo 30-Schilder stehen, wie bei der Schilder-Posse in Herne, dann ist die Wahrscheinlichkeit per se hoch, dass Autofahrer schneller fahren. Das weiß man auch bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Bergisch-Gladbach, wie ein Sprecher erklärt: Weil „die bauliche Gestaltung (einer Straße; Red.) eine Rolle bei der Durchsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ spielt, rät die BASt etwa Städte und Gemeinden zu „konkreten baulichen Maßnahmen“. Dazu gehörten zum Beispiel „Versätze und Einengungen, Aufpflasterungen, Quer- und Diagonalsperren, Mittelinseln und Minikreisverkehre, Neuordnung des Parkens und Begrünung sowie fahrdynamische wirksame Einbauten wie etwa Schwellen.“ Verbindlich sind diese Bau-Vorgaben jedoch nicht, sagt der Behördensprecher.

Verkehrspsychologe: Wirkung von Strafen wird überschätzt

Und wie steht es um die Wirkung von Bußgeld oder Fahrverbot? Sie werde „generell überschätzt“, sagt Wolfgang Fastenmeier. „Das Verhalten der Fahrer wird wesentlich durch die subjektive Wahrscheinlichkeit, in eine Kontrolle zu geraten beeinflusst, weniger durch die Höhe der Strafe“, erklärt der Verkehrs-Psychologe. Auch würden „Einstellung und Motivation zu korrektem Verhalten durch Strafen nicht verändert.“

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Und selbst die persönliche Ansprache etwa durch die Polizei unmittelbar bei einer Verkehrskontrolle, „ist nur in den Situationen sinnvoll, in denen ein ‘Blitzer’ eingesetzt wird, um eine tatsächliche gefährliche Situation zu entschärfen“, sagt Fastenmeier. Doch dies, sagt er, „ist bekanntermaßen nicht immer der Fall.“