Herne. 104 Autofahrer haben in Herne zu Unrecht zahlen müssen, weil die Polizei beim Blitzen auf ein Fake-Schild hereinfiel. Gibt’s doch Geld zurück?

Ist der Fall doch noch nicht abgeschlossen? Nachdem die Polizei bei einer Tempokontrolle auf ein gefälschtes Verkehrsschild hereinfiel, belegte die Stadt Herne mehr als 104 Autofahrerinnen und Autofahrer mit Verwarnungen, Bußgeldern und Fahrverboten. Die Stadt hält es nicht für möglich, das Geld zurückzuzahlen (WAZ berichtete). Ein Herner Anwalt sieht das anders.

Herner Anwalt: „Ein Schild kann nur hoheitlich angeordnet werden“

„Ein Schild ist ein Verwaltungsakt. Ein Schild kann nur hoheitlich angeordnet werden“, sagt der Herner Anwalt und Vorsitzende der Verkehrswacht Wanne-Eickel Heinrich Hendricks. Wenn das Schild offensichtlich gefälscht sei, dann sei auch das Bußgeldverfahren, das auf einem nicht rechtskonformen Verwaltungsakt beruhe, nicht rechtens. „Die Entscheidungen im Bußgeldverfahren sind rechtswidrig.“ Man müsse davon ausgehen, dass es sich ja bei der Grundlage noch nicht einmal um einen Verwaltungsakt handele.

Das hatte die Stadtverwaltung gegenüber der Redaktion noch anders gesehen. Da niemand außer dem Dorstener Jörg Hochstrat gegen die Bescheide vorgegangen sei, seien die Fristen bei allen anderen Betroffenen abgelaufen, erklärte Stadtsprecher Christoph Hüsken auf WAZ-Nachfrage zu dem Fall. Die Stadt könne das Geld gar nicht zurückzahlen, so gerne sie vielleicht auch wolle.

Hendricks fragt auch nach dem tatsächlichen Anlass der Blitzaktion. Man müsse ja konkret auf Gefahrenstellen reagieren und könne nicht willkürlich blitzen.

Jörg Hochstrat an der Wiedehopfstraße vor dem jetzt richtigen Schild. Hier wurde er am 15. Juni 2022 geblitzt.
Jörg Hochstrat an der Wiedehopfstraße vor dem jetzt richtigen Schild. Hier wurde er am 15. Juni 2022 geblitzt. © FUNKE Foto Services | Marie-Christin Jacobs

+++ Hintergrund: Fake-Tempo-30-Schild – 104 „Raser“ müssen zahlen +++

55-Jähriger geht gegen Bußgeld, Fahrverbot und Punkte in Flensburg vor

Der Dorstener Jörg Hochstrat war in einem mehr als einem Jahr andauernden Verfahren gegen ein Bußgeld, ein einmonatiges Fahrverbot und zwei Punkte in „Flensburg“ vorgegangen. Er fand heraus, dass die Polizei bei einer Geschwindigkeitskontrolle am 15. Juni in auf der Wiedehopfstraße an der Stadtgrenze zu Gelsenkirchen auf ein gefälschtes Schild hereingefallen war.

Die Beamten nahmen das von Unbekannten aufgehängte Tempo-30-Schild als Grundlage. Tatsächlich hingen dort ursprünglich Tempo-50-Schilder. Der Stadtverwaltung war das – wie vor Gericht herauskam – schon Anfang Juli 2022 bekannt. Trotzdem wurden Bußgeldverfahren eingeleitet. Der oder die Täter, die das Schild aufgehängt haben, sind bis heute nicht bekannt.

Hochstrat und sein Anwalt gingen so weit, dass ohne gültiges Schild in dem Bereich außerorts sogar Tempo 100 erlaubt gewesen sein muss. Diese Einschätzung teilen gegenüber der Redaktion jetzt auch andere Juristen.

Rechtsanwalt und Vorsitzender der Verkehrswacht Wanne-Eickel Heinrich Hendricks sieht das Vorgehen der Stadt kritisch.
Rechtsanwalt und Vorsitzender der Verkehrswacht Wanne-Eickel Heinrich Hendricks sieht das Vorgehen der Stadt kritisch. © FUNKE Foto Services | Ralph Bodemer

+++ Zu Unrecht geblitzt: Diese Odyssee erlebte Jörg Hochstrat +++

Verwaltungsverfahrensgesetz macht Betroffenen Mut

„Es gab diesen Fall noch nicht. Der Fall ist spannend“, sagt Hendricks. Er rät Betroffenen, sich gegebenenfalls durch einen Verwaltungsrechtler beraten zu lassen. Auch ein anderer Jurist macht gegenüber der WAZ den anderen 103 Betroffenen Mut. Denn es sei keinesfalls so, dass nur der Fristablauf jeden Verwaltungsvorgang zementiere, so falsch er auch sei.

Immer wieder kommt der Verweis auf Paragraf 44 des Verwaltungsverfahrsgesetzes („Nichtigkeit des Verwaltungsaktes“): Darin heißt es: „Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.“

Klar ist auch: Sollten noch mehr Betroffene gegen die Bußgelder vorgehen und Recht erhalten, dann kommt auf die Stadt nicht nur eine Welle an Rückzahlungen zu – in gut fünfstelliger Höhe. Einschließlich der Anwaltshonorare kann sich der Betrag schnell vervielfachen.