Herne. Jörg Hochstrat (55) erlebt eine Odyssee, nachdem er zu Unrecht in Herne geblitzt wurde. Den Behörden war der Fehler wohl schon länger klar.

Es ist der 15. Juni 2022: Jörg Hochstrat ist gerade auf der Wiedehopfstraße von Gelsenkirchen kommend in Richtung Künstlerzeche unterwegs. Hinter der Emscherbrücke blitzt es plötzlich. „Ich bin mit Sicherheit kein Typ, der durch die Gegend rast“, sagt der 55-Jährige, der allerdings nicht ausschließen will, die 50 etwas überschritten zu haben. Er erlebt eine Odyssee, nachdem klar wird, dass das Schild zu Unrecht aufgestellt wurde.

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Bußgeld: 326 Euro wegen angeblich 34 Stundenkilometern zu viel

Mit Datum vom 14. Juli erhält der Dorstener dann einen Bußgeldbescheid. Nach Abzug der Toleranz soll er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 34 Stundenkilometer überschritten haben, Tempo 64 bei erlaubten 30! Der 55-Jährige soll 326 Euro Bußgeld zahlen, einen Monat lang seinen Führerschein abgeben und zwei Punkte in Flensburg bekommen. Jörg Hochstrat kommt die Sache komisch vor.

Jörg Hochstrat gerät mit seinem Seat in die Radarfalle. Diese hätte dort gar nicht auf Tempo 30 eingestellt werden dürfen.
Jörg Hochstrat gerät mit seinem Seat in die Radarfalle. Diese hätte dort gar nicht auf Tempo 30 eingestellt werden dürfen. © Privat | ESO

Der Seat-Fahrer schaltet seinen Anwalt ein. Dem Anwalt kommt es spanisch vor, dass eine derart hohe Quote von Fahrern erwischt wird. Auf 528 in beide Richtungen gemessene Fahrzeuge kommen 73 Verwarnungen, 31 Ordnungswidrigkeitsanzeigen und sechs Fahrverbote. Der Anwalt argumentiert später damit, dass die Beschilderung nicht ordnungsgemäß war.

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Behörden früh überzeugt: Schild gehört dort nicht hin

Der Verdacht, dass an dieser Stelle etwas nicht richtig gelaufen sein könnte, kommt auch im Hintergrund recht schnell auf, wie sich später herausstellt: Denn nach einer Beschwerde eines anderen Autofahrers vom 7. Juli 2022 hat die Stadt Herne recherchiert und die Straßenmeisterei kontaktiert. Dort zeigt man sich schon zu diesem Zeitpunkt ratlos, „weshalb genau dort die Geschwindigkeit auf 30 herabgesetzt wurde“. „Es wurde schon vermutet, ob es nicht irgendwelche Anwohner waren, die dort Schilder beschafft und montiert haben“, heißt es in einer internen Mail des Landesbetriebs Straßen, der für die Straße zuständig ist, vom 13. Juli 2022.

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Nach der Rücksprache mit der Stadt zeigt man sich bei Straßen.NRW umso mehr überzeugt: „Die Tempo-30-Schilder wurden durch die Straßenverkehrsbehörde nicht angeordnet und seinerzeit auch abgelehnt, daher möchte ich dich bitten, die Demontierung der Schilder an der genannten Stelle in Auftrag zu geben“, schreibt ein Verantwortlicher am 14. Juli 2022. Die Schreiben gehören später zur Gerichtsakte. Trotzdem erhält Hochstrat den just auf diesen 14. Juli datierten Bußgeldbescheid.

Jörg Hochstrat auf der Emscherbrücke. Der 55-Jährige fuhr hier in die Radarfalle.
Jörg Hochstrat auf der Emscherbrücke. Der 55-Jährige fuhr hier in die Radarfalle. © FUNKE Foto Services | Marie-Christin Jacobs

Verfahren vor Gericht: Betroffener fürchtet noch höheres Bußgeld

Für Jörg Hochstrat beginnt ein langes Verfahren mit Schriftwechseln und Einsprüchen und immer weiter steigenden Kosten. Am 20. März 2023 sitzt er zum ersten Mal im Amtsgericht Wanne, weil sein Einspruch nun vor Gericht verhandelt wird. Der 55-Jährige nimmt vor Gericht schließlich seinen Einspruch sogar zurück, weil er fürchtet, das doppelte Bußgeld zahlen zu müssen, falls er verurteilt wird.

Die Polizei hatte in der Verhandlung beteuert, dass dort wirklich 30-er-Schilder gestanden haben. „Wäre dort nicht mindestens ein 30-er-Schild pro Richtung gewesen, hätten wir die Messung nicht durchgeführt“, heißt es im Protokoll.

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Angebot: Gericht will Bußgeld auf 50 Euro reduzieren

Am 19. April 2023 meldet sich die Stadt. Es gebe „neue Erkenntnisse“. Das Verfahren könne wiederaufgenommen werden. Am 23. Juni dann Post vom Gericht: Man wolle das Wiederaufnahmeverfahren dann ohne Hauptverhandlung und nur schriftlich entscheiden. Die Geldbuße solle auf 50 Euro reduziert werden.

Das will Hochstrat, nachdem ihm klar wird, dass die Polizei wohl selbst auf Scherz-Schilder hereingefallen ist, nicht auf sich sitzenlassen. Es geht wieder vor Gericht. Seit dem 21. September ist klar: Er ist freigesprochen. Alle Kosten zahlt die Staatskasse.

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