Herne. Eine neue Wendung in der Posse um Blitzer und Fake-Schilder an der Wiedehopfstraße in Herne: Die Stadt könnte selbst Verantwortung tragen.

Der Fall um die Blitzer-Posse an der Wiedehopfstraße in Herne wird immer abstruser: Nachdem die Behörden bislang selbst davon ausgingen, dass die Polizei auf gefälschte Tempo-30-Schilder hereingefallen war und 104 vermeintliche Raserinnen und Raser zu Unrecht erwischte, gibt es nun klare Hinweise darauf, dass die Stadt das Schild doch selbst aufgestellt haben könnte – aber womöglich dennoch widerrechtlich.

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Bezirksvertretung: Protokoll vom 10. März 2020 hält neues Tempolimit von 30 fest

Die Herner Grünen haben in alten Unterlagen der Bezirksvertretung Wanne ein Protokoll vom 10. März 2020 ausfindig gemacht, nach dem die Straßenverkehrsbehörde der Stadt das Tempolimit selbst von 50 auf 30 heruntergesetzt haben soll. „Das Dezernat V hat aus Umweltschutzgründen die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 empfohlen. Die Straßenverkehrsbehörde [...] hat dieser Empfehlung Folge geleistet und [...] eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in beiden Fahrtrichtungen auf der Wiedehopfstraße zwischen der Dorstener Straße und der Stadtgrenze angeordnet“, heißt es darin. Auch die WAZ hatte über die Debatte darüber berichtet.

Die Stadtverwaltung und der offensichtlich für die Beschilderung zuständige Landesbetrieb Straßen hatten bislang vermutet, dass die Schilder illegalerweise von Anwohnerinnen oder Anwohnern aufgestellt worden sein könnten. Offiziell liege die Höchstgeschwindigkeit bei 50, hieß es bislang. Das sei auch im Beschilderungsplan so festgehalten. Die rechtliche Grundlage für eine Herabsetzung fehle ohnehin wegen des Charakters der Straße, hieß es.

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Missverständnisse? Keine Aufklärung auch ein Jahr später

Das klingt nach Chaos pur in der Stadtverwaltung. Stellte eine Abteilung Schilder auf, die eine andere für nicht rechtens hielt? Fiel die Polizei dann am 15. Juni 2022 auf diese Schilder rein und blitzte? Schaffte man es über mehr als ein Jahr nicht, diese Missverständnisse aufzulösen? Selbst nachdem die WAZ (und danach etliche andere Medien) zuletzt umfangreich über den Fall berichteten, blieb die Aussage, dass Unbekannte die Schilder aufgestellt haben, so stehen.

Sieht man das jetzt vielleicht doch anders? Auf WAZ-Nachfrage am Montag kündigt die Stadtverwaltung an, den Vorgang noch einmal zu prüfen. Die Prüfung dauert wegen des Brückentages an. Auch der Grünen-Bezirksfraktionsvorsitzende Daniel Keller will jetzt von der Stadt wissen, wer die Schilder auf und wieder abgehängt hat. In einem umfangreichen Schriftverkehr, der auch vor Gericht Thema war, war offensichtlich nicht die Rede davon, dass die Stadt selbst etwas mit der Beschilderung zu tun hatte. Im Gegenteil: Die Stadt wandte sich an Straßen.NRW. +++ Zu Auszügen aus dem Original-Schriftwechsel geht es hier! +++

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Fotos zeigen Smiley-Ampel der Stadt neben Tempo-30-Schild

Die Redaktion bekam unterdessen Fotos zugeschickt, die zumindest ein Mitwirken der Stadt an der Beschilderung untermauern. Die Bilder zeigen neben dem Tempo-30-Schild eine Smiley-Ampel, die Autofahrern symbolisiert, ob sie korrekt oder zu schnell unterwegs sind. Die Urheberschaft lässt sich nicht abstreiten und ist auf einem Erklärschild unter dem lächelnden und griemelnden Gesicht zu lesen: „Stadt Herne“.

Der Dorstener Jörg Hochstrat hatte sich erfolgreich vor Gericht gegen ein Fahrverbot und 336 Euro Bußgeld zur Wehr gesetzt. In dem Verfahren stellte sich heraus, dass die Schilder illegal aufgestellt wurden. Die Stadtverwaltung gestand das ein. Im Rechtsstreit um Fahrverbote nach der Blitzer-Aktion war dagegen alter Schriftverkehr zwischen Stadt und Straßen.NRW auf den Tisch gekommen.

Immerhin: Polizei und Stadt hatten attestiert, dass die Schilder professionell gemacht waren. Das „Lob“ könnte nun womöglich keinem Straftäter, sondern dem hauseigenen Fachbereich Tiefbau und Verkehr gelten.