Köln. Nach der Pandemie ist wieder Karneval in Köln. Die Polizei feiert mit – muss aber mit 2500 Kräften vor allem die Party der jungen Narren sichern.
Zwei Jahre war Fastenzeit, nun ist endlich wieder Fastelovend. Und Köln ist vorbereitet: Die Kapitale des Karnevals feiert Wiedergeburt; Weiberfastnacht als erster Tag des Straßenkarnevals ist für Stadt und Polizei eine „Großlage“. Und für die Jecken erst recht.
Sie haben das erste Bier schon zum Frühstück genommen oder noch davor; viele gehen in diesem Jahr gleich als Bierglas, der Körper im Kostüm hat den Gerstensaft schon drin. In vollen Zügen aus dem Ruhrgebiet Richtung Domstadt kreisen Eineinhalb-Literflaschen, in denen einmal Wasser war, auf Bahnsteigen und Straßen liegt ein Teppich aus Likörfläschchen. „Die Stadt läuft langsam voll“, sagt Wolfgang Baldes und hat das eigentlich nicht doppeldeutig gemeint. Aber es geahnt: „Hände weg von Glas und Alkohol!“, mahnte Kölns Polizeisprecher an den Tagen zuvor, „und von fremden Hintern! Es sei denn, es wird gewünscht.“ Er wird diesen Nachsatz an diesem Morgen lachend wiederholen, als am Alter Markt ein Herr einer Dame das Röckchen hebt: „Es sei denn, es ist gewünscht!“
Am 11. im Elften war es gefährlich eng geworden
Da ist es erst kurz nach elf, noch Minuten, bis die Narren rückwärts zählen und die Tollen Tage wirklich beginnen. Alaaf, Konfetti und kölsche Lieder! „Härrlisch!“, jubelt ein Gardesoldat. „Die haben“, sagt Polizeioberkommissarin Jessica Kluszczyk, „alle Bock zu feiern und das Leben zu leben, das sie verpasst haben.“ Es ist eine Freude, dass sogar die Sonne lacht, die gar nicht angesagt war. Und doch sitzen im Rathaus und bei der Polizei ganze Stäbe vor ihren Bildschirmen, sind 2500 Polizisten im Einsatz, ein jeder wünscht jedem „einen ruhigen“ und meint den Dienst. „Der 11.11. hat uns gewarnt“, sagt der Leitende Polizeidirektor Martin Lotz im Präsidium: Es waren damals zu viele Menschen in der Stadt, es wurde gefährlich eng.
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Also hat Köln diesmal eine Ausweichfläche geschaffen für die Partymeile im Kwartier Latäng und zwei Zugänge dazu: Auf die Uniwiese hat sie Teppich gelegt und drumherum Zäune gezogen. Hier wogen schon am Morgen die Massen, die Zülpicher Straße wird früh geschlossen. Kein Durchkommen mehr, nicht einmal ein Reinkommen. 11.19 Uhr „Durchbruch“, aber die Polizei ist „zur Unterstützung“ schon da. 60.000 würden auf die Wiese passen, Zehntausende feiern zwischen den Kneipen – in der Altstadt, heißt es, sei „das Brauchtum“, hier sind die jungen Leute. Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die zum Mittag gucken kommt, staunt: „Die tanzen und das zu denselben Liedern wie im Sitzungskarneval!“ Aber die Jungen, sie feierten „eben auf ihre Art“.
„Den einen oder anderen davor schützen, groben Unfug zu machen“
„Ihre Art“ ist aber auch, dass sie viel trinken dazu. „Hopfen und Malz“, reimt der 1. Polizei-Hauptkommissar Baldes, „erleichtert die Balz.“ Und: „Mit dem Kampf um die Netzstrümpfe geht es weiter, und dann wird’s irgendwann fies. Aber da simma dabei!“ Die Polizei will „kein Spielverderber“ sein, in dieser Stadt sind die Beamten ja selber jeck. „Wir wollen, dass die Leute feiern.“ Nur bitte friedlich, „wir sind da, wenn die Stimmung ruckeliger wird“. Man müsse, sagt OB Reker, „den einen oder anderen davor schützen, groben Unfug zu machen“.
Normaler Unfug ist aber erlaubt: Clowns, die Selfies machen mit der Polizei. Freundliche Angebote zum Mittrinken. Und der immer gleiche dumme Spruch: „Geiles Kostüm!“ Dabei sind diese Uniformen echt, die „Kollegen“ von „FBI“ oder „SWAT“ sind es nicht. Und die Spielzeugpistole auf die Polizei zu richten, ist verboten. Aber Wolfgang Baldes hat keine Angst, dass solche Narren übergriffig werden: „Ich gehe immer davon aus, dass man keinen Sheriff schlägt.“ Und war das nicht schon vor genau 200 Jahren so, als das Festkomitee überhaupt erst gegründet wurde, um „Ordnung in den Karneval“ zu bringen? „Doofe Anmache gab es immer schon.“
Adrenalin im „harten Job“
Überhaupt sind Baldes und seine Kollegin Kluszczyk mit Spaß am „total schönen Fest“ dabei. Jessica Kluszczyk macht den Job „unfassbar gerne“, gerade an Karneval: „Es ist ein harter Job, aber mit sagenhaft Adrenalin, da fühlt man das richtig.“ Für manche Menschen sind die Beamten in diesen Tagen so etwas wie Sozialarbeiter oder „wie ein Magnet, als hätte man ein i wie Information auf dem Kopf“. Meist fragen die Jecken nach der nächsten Toilette. Seltener nach dem Weg. Aber oft um Hilfe. „Man ist ja auch Mensch“, sagt die Kommissarin, „und freundlich.“ Nur ist ja auch das wahr: Wo früher ein Zug mit 30 Leuten genug war, braucht Köln heute zwei Hundertschaften. Und die „Solidarisierung Einzelner, wenn wir auftreten“, sagt Baldes, „zwei fangen an und fünf gehen mit drauf“, das sei neu. Im Führungsstab aber führt das Protokoll noch am Nachmittag den stets gleichen Satz zur vollen Stunde: „Lage immer noch entspannt.“
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Das betrifft indes die Straftaten, nicht einmal eine Handvoll Festnahmen hat es bis dahin gegeben. Aber viele Menschen, die schon lange nicht mehr feiern können und einige, die das trotzdem noch wollen. Es ist gerade 12 Uhr, da fallen die ersten einfach um, erbrechen ihre Mixgetränke, schaffen es nicht mal mehr aus eigener Kraft in den Rettungswagen. Sie hängen in Hauseingängen, wanken durch die Gassen, weinen, man weiß nicht warum. Es gibt Kölner, die sagen: „Das ist kein Karneval, das ist ein krankes Besäufnis.“ Vergebens offenbar war Baldes‘ Rat vom Vormittag, man möge „nur so viel trinken wie Gemüt, Kopf und Beine vertragen“. Aber auch das hat der Polizeisprecher gewusst: „Viele kennen ihre Grenzen noch nicht, aber sie lernen sie heute kennen. Und wir helfen ihnen dabei.“
Frau verliert Tasche mit Handy und Bargeld darin
Wo das „Brauchtum“ ist, am Alter Markt und am Heumarkt, fragen die Älteren besorgt: „Was hört ihr von der Zülpicher?“ Das: Auf der Uniwiese ist der Karneval ein Festival. Aber auch das: Einer im Babykostüm kriegt die Beine nicht mehr voreinander, „das sind ja noch Kinder!“, sieht Jessica Kluszczyk. Eine junge Frau hat ihre Tasche verloren mit Handy und Bargeld darin, die beiden Beamten werden sie für Stunden tragen und immer wieder telefonieren mit einer angetrunkenen Freundin der Dame. Zwei „Schweinchen“ und ausgerechnet ein Fake-Polizist haben eine Schlägerei angezettelt. Die „paar Idioten, die eine Schubserei anfangen“, haben sie immer. Noch vor halb eins wird einer abgeführt, „Auszeit“, sagt Wolfgang Baldes. Wenig später macht Kluszczyk eine Ansage, schickt zwei Streithähne resolut in unterschiedliche Richtungen. „Ich will da keine Erklärungen, die sollen ihrer Wege gehen.“ Über Karnevals-Prügeleien hat einst Volker Lange, mehr als vier Jahrzehnte Polizeidirektor in Köln, den schönsten Satz gesagt: „Die Verlierer fahren RTW, die Gewinner mit uns.“
Das Recht, was zu erleben nach der Pandemie
Dieses Jahr zum „Wieverfastelovend“ aber bleibt die Stimmung bis in den Abend ruhig. Dass die Leute „übermäßig über die Stränge schlagen“, können auch Sanitäter nicht finden. Alkohol hin oder her, das Festkomitee hat es schließlich gesagt: Die jungen Leute hätten „das Recht, was zu erleben nach zwei Jahren Pandemie“. Und Polizeisprecher Baldes bricht für sie eine Lanze: „Die Jugend ist nicht schlecht. Das sind überwiegend ganz nette junge Menschen mit Spaß anne Backen.“ Schließlich, die in der Altstadt anstehen vor den Kneipen, die mit den seriös aussehenden Narrenkappen, seien doch „in dem Alter genauso gewesen“. Baldes nimmt das mit Humor, es ist ja Karneval: „Da waren wohl drei Schnapspralinen zu viel. Man darf auch feiern und besoffen sein.“