Essen. Ein Bürgermeister, eine Vorwahl und ein Kennzeichen: So kann aus dem Ruhrgebiet doch noch die Ruhrstadt werden, glaubt der Verein "Pro Ruhrgebiet" und hat dazu jüngst einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Kritiker sprechen bereits von „verschenkter Luft" und einem "bürokratischen Monstrum".
Aus dem Flughafen Düsseldorf wird der Flughafen Ruhrstadt-West und aus dem Flughafen Dortmund der Flughafen Ruhrstadt-Ost. Und auch ein eigenes Autokennzeichen (RU-HR 2009), eine eigene Vorwahl (-020) oder neue gelbe Ortsschilder wie Ruhrstadt-Herne sollen aus dem Ruhrgebietler einen Ruhrstädter machen. So jedenfalls stellt es sich der Verein „Pro Ruhrgebiet“ vor, der seit langem den Ruhrstadt-Gedanken vor sich her trägt. Nun hat der Verein gemeinsam mit der Initiative Ruhr einen Zehn-Punkte-Masterplan vorgestellt, um aus dem Ruhrgebiet ab 2014 eine einzige Stadt zu machen.
Darin enthalten sind unter anderem die Gründung eines Stadtparlamentes Ruhr und die Wahl eines Ersten Bürgermeisters, die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 oder die Gründung eines eigenen Ruhrstadt-Fernsehsenders. Außerdem will der Verein „Pro Ruhrgebiet“ den Nahverkehr auf das Berliner Modell „10-10-60“ umstellen (10 Minuten zur Haltestelle, 10 Minuten warten, 60 Minuten zu jedem Fahrziel) und die Ruhrstadt per Gesetz in den kommunalen Finanzausgleich aufnehmen lassen.
Das Pikante daran: Obwohl dieser Plan eine Entmachtung der Städte und ihrer Oberbürgermeister bedeuten würde, liegt das Zehn-Punkte-Papier den meisten Stadtverwaltungen nicht vor. Lediglich einer großen deutschen Boulevard-Zeitung hat der Verein exklusiv seine Pläne mitgeteilt, weitergehende Auskünfte gibt er zur Zeit nicht. Der Geschäftsführer sei im Urlaub, heißt es aus der Geschäftsstelle von „Pro Ruhrgebiet“.
"Politisch nicht durchzusetzen"
Dennoch macht der Plan nun die Runde und ruft besonders die Kritiker auf den Plan. „Darüber zu diskutieren, ist verschenkte Luft“, sagt Ralf Michalowsky, Sprecher der NRW-Linken. Aus dem Ruhrgebiet eine Stadt zu machen, sei politisch überhaupt nicht durchsetzbar. Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler NRW schließt sich an: „Dann müssten sich die Stadträte ja selber auflösen, und das wird wohl kaum passieren“. Auch der Essener Stadtsprecher Detlef Feige sieht keinen Grund für die Ruhrstadt.
Ganz anders dagegen Daniela Schneckenburger, Chefin der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Sie will die Ruhrstadt, mit einem gewählten Ruhrparlament und einem Oberbürgermeister: "Wir müssen die Kleinstaaterei und Egoismen überwinden." Damit das Ruhrgebiet seine immensen Finanzprobleme und seine "provinzielle" Infrastruktur lösen könne, brauche es diese neue Verwaltungseinheit.
Ein Nahverkehrsunternehmen fürs Ruhrgebiet
Die Ruhrstadt-Kritiker lehnen jedoch nicht nur ab. Im Gegenteil, sie machen Vorschläge, wie sich das Ruhrgebiet besser für die Zukunft rüsten kann – und da fällt immer wieder das Stichwort „Nahverkehr“. Ein Nahverkehrsunternehmen für das gesamte Ruhrgebiet fordert Linken-Sprecher Michalowsky, um Fahrpläne und Schienenbreiten besser aufeinander abzustimmen. Das wünscht sich auch die Stadt Essen, doch Detlef Feige weiß: „Wenn Sie die Spurbreiten für die Bahnen in zwei Städten wie Essen und Gelsenkirchen anpassen wollen, brauchen Sie schon einen sehr langen Atem für das Genehmigungsverfahren. Denn die beiden Städte fallen in unterschiedliche Regierungsbezirke.“
An den Regierungsbezirken scheinen in der Tat viele Vorhaben zu scheitern. Aus „5 mach 2“ fordert beispielsweise Eberhard Kanski vom Steuerzahlerbund. Er würde, angelehnt an das Modell der Landschaftsverbände, einen Regierungsbezirk fürs Rheinland und einen für Westfalen einrichten. Detlef Feige will ebenfalls eine Reduktion, kann sich zudem einen Regierungsbezirk Ruhrgebiet vorstellen. Alternativ würde er die Position des Regionalverbandes Ruhr stärken, der dann an der Stelle der Regierungsbezirke die übergreifende Stadt- und Verkehrsplanung in die Hand nehmen könnte. Für eine Abschaffung der Regierungsbezirke müsste allerdings das Landesparlament die Hand heben.
"Bürokratisches Monstrum"
Kooperation bei Nahverkehr oder Kultur ja, Ruhrstadt nein. Das jedenfalls scheint das Credo vieler Stadtverwaltungen, Parteien und Verbände zu sein. Denn eine Ruhrstadt wäre ein „bürokratisches Monstrum“, sagt Eberhard Kanski. Zahlreiche Gesetze müssten geändert und neue Zuständigkeiten geschaffen werden. Hinzu komme, so der Experte vom Steuerzahlerbund, dass die Städte öffentliche Aufgaben heute viel besser erfüllen könnten als noch vor 30 Jahren. „Immer mehr Akademiker arbeiten in den Stadtverwaltungen, die Verwaltungskraft ist deutlich gestiegen. Warum sollte man das aufgeben?“
Eine kleine Ungenauigkeit hat Kanski in dem Zehn-Punkte-Plan zudem ausgemacht: „Dort wird ja gefordert, dass die Ruhrstadt per Gesetz in den kommunalen Finanzausgleich aufgenommen wird und dadurch mehr Geld vom Land NRW bekommt. Aber das Ruhrgebiet bekommt jetzt schon mehr Geld als beispielsweise der Niederrhein oder das Münsterland.“ Wegen des Strukturwandels und der hohen Arbeitslosigkeit flössen schon jetzt mehr Finanzmittel nach Bochum als nach Borken.
Linken-Sprecher Michalowsky glaubt, dass das Festhalten an der Ruhrstadt-Idee die Lösung wirklicher Problem verschleiert und verzögert. „Geholfen wäre dem Ruhrgebiet vielmehr, wenn Städte angesichts der Sparmaßnahmen bei Kultur- und anderen Freizeiteinrichtungen kooperieren oder sich im Wettbewerb um Gewerbeflächen nicht mit vernichtenden Dumpingpreisen unterbieten.“
Weitere Parteien und Stadtverwaltungen haben wir ebenfalls um eine Stellungnahme gebeten. Sobald sie antworten, werden wir den Artikel um diese Informationen ergänzen.
- Diskussion: Masterplan Ruhrstadt