Ruhrgebiet. Viele Servicekräfte haben während der Corona-Pandemie die Gastronomie verlassen. Eine 2G-Regel könnte den Personalmangel weiter verschärfen.
Hans-Werner Scherer könnten nach langem Lockdown jetzt endlich wieder Geld verdienen. Sein Restaurant ist geöffnet, die Menschen haben Lust auf ein kühles Bier nach dem Feierabend. Doch trotz freier Plätze muss der Inhaber des Boothaus Ruhreck in Essen dutzende Gäste wegschicken. Das Problem: Viele Beschäftigte haben der Gastronomie während der Pandemie den Rücken gekehrt. „Wir könnten zwei Köche und zwei Servicemitarbeiter gebrauchen“, sagt Scherer, „dann müssten wir nicht immer selbst einspringen.“
15 bis 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten je nach Saison in dem Essener Restaurant, zehn seien nach der Pandemie nicht mehr wiedergekommen. Das Frühstücksgeschäft habe der Betreiber deshalb schon aufgeben müssen. Statt um 9 Uhr öffnet das Bootshaus Ruhreck nun erst um zwölf. Und: „Wir überlegen, an zwei Tagen erst um 15 Uhr aufzumachen.“
Personalmangel: Restaurant in Bochum geschlossen
Und damit ist der Gastronom nicht allein: „Viele Betreiber spielen mit Öffnungszeiten und Ruhetagen“, weiß Christian Bickelbacher, Vorsitzender der Immobilien- und Standortgemeinschaft Bermudadreieck Bochum (ISG). Er selbst habe den Betrieb eines seiner insgesamt sieben Restaurants einstellen müssen. Seit Juli vergangenen Jahres ist das Beef and Burger in Bochum geschlossen. „Wir haben keine Leute“, begründet auch Bickelbacher. „Von 350 Mitarbeitern waren nach dem zweiten Lockdown im Juni noch 180 übrig.“ Köche, Restaurantfachkräfte, Schichtleiter – Es seien vor allem die Fachkräfte, die fehlen. „Die Aushilfen kommen langsam zurück. Aber die ganzen Gelernten sind weg.“
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Die allermeisten seien zu Beginn des Jahres in andere Branchen abgewandert, säßen jetzt an der Kasse oder lieferten Pakete aus. „Das große Weglaufen hat am 1. Januar begonnen“, so der ISG-Vorsitzende, „als klar war, dass der Lockdown Light in Wahrheit gar keiner ist.“ Lange habe er die Hoffnung gehabt, dass die Beschäftigten wiederkommen. Aber: „Die Angst vor einem erneuten Lockdown ist immer noch groß.“
Kein Abstandsgebot bei 2G: Aber wer bedient die Gäste?
Seit Jahren kämpft das Gaststättengewerbe mit dem Personalmangel. Neben den Fachkräften fehlt es der Branche auch an Nachwuchs. So sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit allein im Ruhrgebiet noch 321 Ausbildungsstellen in der Gastronomie und Speisenzubereitung unbesetzt. Die Arbeitszeiten, der Stress und niedrige Löhne machten die Gastronomie zu keiner besonders attraktiven Branche, sagt Christian Bickelbacher. Eine 2G-Regel könnte die Situation aus seiner Sicht weiter verschärfen. So müsse auch das Personal geimpft oder genesen sein, wenn Menschen mit einem negativen Test nicht mehr ins Restaurant dürfen. Bickelbacher: „Wir können es uns nicht leisten, dass 20 Prozent der Mitarbeiter wegfallen, weil sie nicht geimpft sind.“
Werner Boxbücher, Betreiber des spanischen Restaurants La Mesa in Bochum, zieht dennoch in Erwägung, künftig nur noch Genesene und Geimpfte in seinem Lokal zu bewirten. Alle 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien vollständig geimpft. Um niemanden auszuschließen, sollen Menschen, die ein negatives Testergebnis vorlegen, weiterhin draußen sitzen können. „Das hat den Vorteil, dass wir im Innenbereich die Tische wieder enger zusammenrücken können“, sagt Boxbücher. Doch wer bedient die Gäste?
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Schon einige Male habe der Inhaber Besucher wegschicken müssen, weil das Personal knapp ist. „Es ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, um Gäste nach Hause zu schicken“, sagt Werner Boxbücher, der noch Unterstützung im Service und in der Küche gebrauchen könnte. Die Menschen wollten ausgehen, die letzten Sonnenstrahlen genießen. Eine Stunde Wartezeit sei jedoch unzumutbar. „Wir wollen ja, dass die Leute zufrieden sind, und wiederkommen!“
„Man muss aufpassen, dass man die Leute, die man noch hat, nicht komplett auslutscht“
„Die Bedienung ist bei uns nicht das Problem“, sagt Anne Behrenbeck, Betreiberin des Haus Oveney am Kemnader See. Sie habe bereits im November an den Tag nach dem Lockdown gedacht und den Aushilfen die Hälfte des Gehalts weitergezahlt. Eine Köchin habe sich während der Pandemie allerdings umorientiert, sodass der Chefin nun eine Vollzeitkraft in der Küche fehlt. „Wir haben sie gebeten, wieder bei uns anzufangen“, sagt Behrenbeck. „Sie war wirklich gut.“
Um keinen Ruhetag einlegen zu müssen, hat die Inhaberin das Angebot auf ihrer Karte eingeschränkt. „Heute gab es zum Beispiel keine Waffeln“, erzählt Anne Behrenbeck, dafür Apfelstrudel und Käsekuchen. Das Sommergeschäft sei für das Restaurant am Ruhrtalradweg „unglaublich wichtig, um gut durch den Winter zu kommen“. „Man muss aber auch aufpassen, dass man die Leute, die man noch hat, nicht komplett auslutscht.“
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bootshaus Ruhreck in Essen haben längst „keine Lust mehr“, sagt Betreiber Hans-Werner Scherer, während im Hintergrund die Klingel zum zweiten Mal läutet. Gleichzeitig häuften sich die Beschwerden der Gäste über lange Wartezeiten. Der helle Ton erklingt erneut. „Sie hören es“, verabschiedet sich der Inhaber am Telefon. „Ich muss das nächste Essen zum Tisch bringen.“
„Kaum Spielraum, die Löhne höher zu gestalten“
■ Seit dem 1. Juli 2020 und bis Ende 2022 beträgt die Umsatzsteuer auf Speisen in der Gastronomie nur sieben statt 19 Prozent. „Wir geben das an unser Personal weiter“, sagt Anne Behrenbeck, Inhaberin des Haus Oveney in Bochum.
■ Abgesehen von einer Erhöhung der Preise für Speisen und Getränke gebe es in der Branche ansonsten „kaum Spielraum, die Löhne höher zu gestalten“. Behrenbeck: „Wenn die Mitarbeiter sich nicht wertgeschätzt fühlen, dann funktioniert das gesamte System nicht.“