Essen. Der teils akute Mangel an Servicekräften bereitet einigen Essener Gastronomen Kopfzerbrechen. In diese Branchen sind Bedienungen abgewandert.

Die Sonne scheint und durstige, (erlebnis-)hungrige Menschen strömen nach Monaten des Lockdowns wieder in Biergärten, Kneipen und Restaurants. Ausgerechnet jetzt erschwert der zum Teil akute Personalmangel der Essener Gastrobranche den Neustart in die Normalität.

Kellnerinnen und Kellner verzweifelt gesucht: Das gilt auch für Essen, wie eine – wenn auch nicht repräsentative – Umfrage belegt.

Personal wandert aus Essens Gastronomie ab

„Unsere Branche leidet darunter, dass Personal in der Krise abgewandert ist“, sagt Lars Becker, Inhaber des Löwen am Kopstadtplatz. Er selbst habe in der schwierigen Zeit zwei langjährige Aushilfen verloren. Sein Trost: „Die festangestellten Mitarbeiter konnte ich aber halten.“

Er beobachtet, Kellnerinnen und Kellner bevorzugten jetzt Jobs im Lebensmittelhandel, während studentische Aushilfskräfte neuerdings in Corona-Testzentren jobbten. Von einem Kollegen, der ein Restaurant mit großer Ausflugsterrasse betreibt, weiß Becker, dass dieser ein Viertel der Plätze reduziert hat, weil ihm Personal fehle. „Der hat massive Probleme.“

Schwierige Zeiten durchlebt auch das Café Nord, seit Jahren die beliebte Adresse am Rheinischen Platz. „Personalmangel ist echt ein Problem im Moment, ich suche händeringend Leute“, sagt Inhaber Dirk Weidenhaupt. Der Ansturm auf die Biergärten in Essen verstärke seine Nöte. „Wir haben Schwierigkeiten, die Schicht richtig abzudecken.“

Personalmangel im Café Nord Essen: „Ausfallen darf aktuell niemand“

Die Arbeitsteilung im Café Nord sieht vor, dass Tischkellnerinnen und -kellner Bestellungen aufnehmen und Getränke servieren, während Essenausträger zwischen Küche und Tischen eilen. Nur: „Essenausträger finden wir im Moment gar nicht.“ Aktuell sei der gesamte Betrieb in personeller Hinsicht auf Kante genäht. „Ausfallen darf aktuell niemand“, sagt der Nord-Wirt.

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Hat Weidenhaupt vor Corona eine Stellenanzeige aufgegeben, passierte es regelmäßig, dass ungeeignete Bewerber anfragen. „Heute meldet sich gar keiner.“ Angesichts der Unsicherheit hätten viele Restaurantkräfte Ersatzjobs anderswo angenommen. Und aus Angst vor einem vierten Lockdown seien sie nicht mehr bereit, in ihre alten Jobs zwischen Tresen und Terrasse zurückzukehren.

Rino Frattesi von La Grappa berichtet, Gastro-Servicekräfte wechselten vermehrt in den Bereich Handel, arbeiteten nun in Supermärkten oder Metzgereien, Großkantinen oder Krankenhaus- und Altenheimküchen.

Dem Gastronomen Franco Giannetti gehören sieben Restaurants in Essen und eines in Gelsenkirchen-Buer – vom Oficina in Bredeney bis zum Casino auf Zollverein. Vor der Krise beschäftigte er in seinem Gastro-Imperium 200 Menschen einschließlich Aushilfen. Aktuell sind es 150. „In der Küche stehen wir gut da, aber im Service fehlen uns Leute“, sagt er. Während der Krise habe er drei Kellner verloren.

Restaurant Tablo: Lücke beim Kellnerbedarf

In Nelson Müllers Essener Betrieben ist die Lage eine andere: „Wir haben im Gourmetrestaurant Schote, der Brasserie Müllers auf der RÜ sowie dem Cateringbereich das komplette Team durch den Lockdown mitnehmen können und haben nicht einen Mitarbeiter verloren,“ berichtet Assistentin Katrin Lohmann.

Auch Pinar Dogan, Geschäftsführerin des Restaurants Tablo ist erleichtert, bisher in der Krise keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren zu haben. Aufgrund des derzeit hohen Andrangs sei allerdings ihr Kellnerbedarf gestiegen – für die Herbstsaison will sie diese Lücke geschlossen haben.

„Aktuell suchen alle Gastronomen gleichzeitig, der Kuchen ist kleiner geworden,“ berichtet Christian Krause, der die Kneipe Früher oder Später betreibt. Übergangsweise hätte eine seiner Mitarbeiterinnen im Discounter an der Kasse gearbeitet, ist dann aber zurückgekehrt. „Ich persönlich kann mich glücklich schätzen, ich habe im Frühjahr sogar zwei neue Kräfte eingestellt,“ sagt Krause, „aber ich kenne viele Kollegen, die händeringend nach Personal suchen.“

Dehoga: Die Gastronomie braucht Planungssicherheit

Die Personal-Lage in der Essener Gastronomie sei „ordentlich angespannt“, so Essens Dehoga-Vorsitzender, Hotelier Moritz Mintrop. Betriebe, die im Lockdown guten Kontakt zu ihrem Team gepflegt hätten, kämen nun etwas besser zurecht. Der Essener Hotelier selbst habe „glücklicherweise nicht viele Federn gelassen“ – lediglich drei seiner Beschäftigten hätten sich umorientiert.

„Von der Politik brauchen wir nun Planungssicherheit,“ so Mintrop. Er fordert einen geringeren Mehrwertsteuersatz für Speisen und Getränke, um wieder in Personal investieren zu können, sowie „Verbindlichkeit von der Politik, dass sie uns nicht in ein paar Monaten wieder schließen.“

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50.000 Beschäftigte in NRW haben die Gastro-Branche 2020 verlassen

Dies sei wichtig, um Bewerbern und Bewerberinnen einen Job anzubieten, der auch noch in drei Monaten besteht. Verschärfter sei die Lage an der Ausbildungsfront: „Uns ist ein ganzer Jahrgang weggebrochen. Deshalb müssen wir jetzt Azubis finden, mit denen wir in die Zukunft starten können, sonst holt uns das in ein paar Jahren ein,“ so Mintrop.

Im Laufe des Jahres 2020 haben rund 50.000 Menschen in NRW die Gastro-Branche verlassen, bestätigt Thomas Kolaric, Geschäftsführer der Dehoga-Nordrhein, den Eindruck der Essener Wirtinnen und Wirte. Spürbar seien die Auswirkungen dessen schon jetzt – bei steigendem Geschäft werde sich der Personalmangel aber noch verschärfen.

„Früher hatten wir das Image einer krisensicheren Branche, mussten aber feststellen, dass wir in so einer Extremsituation nicht krisensicher sind,“ sagt der Dehoga-Geschäftsführer. „Wir müssen uns nun verstärkt Gedanken machen, wie wir neue Mitarbeiter werben können“ – zumal schon vor der Pandemie Fachkräfte in der Gastronomie schwer zu finden waren. „Ich habe noch nie so viele Ausschreibungen auf sozialen Medien gesehen wie jetzt, sowohl für Fachkräfte als auch für Geringfügig-Beschäftigte.“

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