Ruhrgebiet. Viele Ausbildungsstellen sind noch unbesetzt. Besonders im Handwerk zeigt sich: Es wird schwieriger, Lehrling und Betrieb zusammenzubringen.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt der Geschäftsführer zu Melek Yacoubi. Das Vorstellungsgespräch ist geschafft. Jetzt heißt es Daumen drücken. Der 21-Jährige ist seit zwei Jahren auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Wunschberuf: Kaufmann für Groß- und Außenhandel. 50 bis 60 Bewerbungen hat Melek Yacoubi bereits geschrieben, wurde zum Probearbeiten eingeladen und hat Einstellungstests bestanden – ohne Erfolg. „Man war immer zufrieden“, sagt der Gelsenkirchener. Umso enttäuschter ist er, als es auch dieses Mal nicht klappt. „Ich weiß nicht einmal den Grund“, bedauert er. Man habe sich eben für jemand anderes entschieden.

Wie Melek Yacoubi geht es vielen Jugendlichen im Ruhrgebiet – und das, obwohl die Chancen noch nie so gut waren wie jetzt, sagt Almuth Schlosser, Geschäftsführerin der Bundesagentur für Arbeit in NRW. „Aktuell kommen rechnerisch in NRW auf eine unversorgte Bewerberin oder einen Bewerber 1,34 offene Ausbildungsstellen.“ Doch während sich etwa die Medien- oder Immobilienbranche vor Bewerbern kaum retten kann, fehlt es vor allem im Handwerk und in der Gastronomie an Nachwuchs.

Bewerbermangel: „Vor zehn Jahren hatten wir noch 200 Bewerbungen“

„Es ist unglaublich schwierig“, sagt Bianca Köppe, Direktorin des Waldhotels in Heiligenhaus. Von sechs Ausbildungsstellen zum Koch, zur Hotel- oder Restaurantfachkraft ist drei Wochen nach Ausbildungsstart nur eine besetzt. Ein weiterer Bewerber, ein junger Mann aus China, wird in wenigen Wochen seine Lehre beginnen. „Vor zehn Jahren hatten wir noch 200 Bewerbungen, aus denen wir aussuchen konnten“, bedauert Köppe. „Heute rennen wir den Leuten hinterher.“

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Die Branche erfahre seit Jahren einen Rückgang. „Corona“, befürchtet die Hoteldirektorin, „hat dem Ganzen den Rest gegeben“. Die monatelange Schließung der Hotels und Restaurants habe den Beruf nicht attraktiver gemacht. Und unter den wenigen Zusendungen eine geeignete Bewerberin oder einen geeigneten Bewerber zu finden, werde zunehmend zur Herausforderung. So kämen einige Jugendliche erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch; von denen, die kommen, sagten manche weder „Guten Tag“ noch „Auf Wiedersehen“. Grundrechenarten, Dreisatz, „mit der Rechtschreibung will ich gar nicht erst anfangen“, sagt Köppe. „Viele kennen nur ihre Rechte, nicht aber ihre Pflichten.“

Handwerk ist bei Jugendlichen weniger beliebt

Auch Dirk Gresch ist in diesem Jahr leer ausgegangen. Der Friseurmeister, der insgesamt 17 Salons im Ruhrgebiet betreibt, habe „immer und gerne“ ausgebildet. Für das Ausbildungsjahr 2021 seien jedoch nur „sehr wenige Bewerbungen“ eingegangen, sodass in der größten Perfect-Hair-Filiale in Herne derzeit niemand über die Schulter schaut. „Das Handwerk“, vermutet er, „ist grundsätzlich nicht mehr so attraktiv für Schulabgänger“.

„Das Interesse ist nicht mehr da“, bestätigt Thomas Jodl, Fertigungsleiter bei der Essener Firma Anke Oberflächentechnik. Die Jugendlichen arbeiteten lieber bei großen Unternehmen, in der Bank oder bei Versicherungen statt sich im Handwerk „die Finger schmutzig zu machen“. Die Bewerbungen für die jeweils zwei Ausbildungsstellen zum Maschinen- und Anlagenführer und Oberflächenbeschichter könne er in diesem Jahr an einer Hand abzählen. Eine geeignete Kandidatin oder ein geeigneter Kandidat sei bisher nicht dabei gewesen. „Wer sich schon bei einem Praktikum als unzuverlässig erweist, dem können wir leider keinen Vertrag anbieten.“

Angehende Dachdecker benötigen Durchhaltewillen, denn der Job ist vor allem in den Wintermonaten mitunter hart.
Angehende Dachdecker benötigen Durchhaltewillen, denn der Job ist vor allem in den Wintermonaten mitunter hart. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Jahrelang hat auch Dachdeckermeister Joachim Jakob junge Menschen ausgebildet. „Die Qualität der Bewerbungen“, so der Bochumer, habe enorm nachgelassen. „Wir verlangen kein Fachabi“, sagt Jakob. Einen Hauptschulabschluss mit einer Drei vor dem Komma sollten die Bewerber aber vorweisen können – damit sie die Prüfung in drei Jahren auch schafften. Doch gute Noten allein reichen nicht: Wer noch nie „ein Hämmerchen in der Hand hatte“, wisse oft nicht, was ihn auf der Baustelle erwartet: „Der Winter ist schmerzlich kalt und nass“, sagt Joachim Jakob, der immer wieder erlebt, dass junge Azubis ihre Lehre abbrechen. „Es wäre gut, wenn sie schon zu Schulzeiten mehr praktische Erfahrung sammeln würden.“

Ausbildung im Callcenter: „Nicht das, was ich für immer machen möchte“

Melek Yacoubi hat Praktika absolviert: In einem Brillengeschäft, in der Gastronomie, in einer Produktionsfirma. Vor zwei Jahren machte er sein Fachabitur, jobbt seither in einer Tankstelle. Und obwohl er bei der Suche auch „nach links und rechts“ schaut, will es nicht klappen. Mit Unterstützung der Agentur für Arbeit hat er vor zwei Wochen eine Ausbildung zur Servicefachkraft für Dialogmarketing in einem Callcenter begonnen. Doch „ganz ehrlich“, gesteht der Gelsenkirchener, „das ist nicht das, was ich für immer machen möchte“.

Am 1. September ist nicht Schluss

■ Rund 37.000 Ausbildungsplätze waren Anfang August in NRW noch unbesetzt. Der Ausbildungsmarkt geht daher auch in diesem Jahr in die Verlängerung.

■ „Wer jetzt noch keinen Vertrag in der Tasche hat, sollte nicht die Flinte ins Korn werfen“, sagt Frank Neukirchen-Füsers, Leiter der Arbeitsagentur in Bochum. Auch nach Beginn des offiziellen Starttermins würden bis zum Jahresende noch viele freie Stellen besetzt. „Noch immer melden und entscheiden sich Arbeitgeber kurzfristig, jemanden einzustellen.“

■ Unterstützung erhalten Jugendliche und Arbeitgeber bei den Arbeitsagenturen vor Ort. Weitere Informationen im Internet unter www.arbeitsagentur.de.