Ruhrgebiet. Der Run auf die Gastronomie ist groß, der Personalmangel ebenso. Laut einer Dehoga-Abfrage sind in NRW mehr als 55.000 Beschäftigte abgewandert.

Die Kellnerin kommt federnden Schrittes zum Tisch, nicht einmal die Atemschutzmaske kann ihr breites Lächeln verbergen: „Wie schön“, sagt sie, „dass ihr da seid.“ Und erklärt danach mit Hingabe Karte und Konzept. Acht lange Monate haben sie und ihre Kollegen darauf gewartet, im „Käthe & Kalle“ wieder Gäste zu bewirten, mit allem was dazu gehört: Leckeres Essen, kalte Getränke, flapsige Sprüche, Leben eben. Kurz nach der Neueröffnung des Ladens in Rüttenscheid kam der zweite Lockdown und mit ihm ein sehr, sehr langer Winter.

Der Start am ersten Juniwochenende sei durchwachsen aber schön gewesen, bilanziert Mitinhaber David Tappeser. Das erste Feedback der Gäste beflügele und sei Ansporn, „weiter durchzustarten, es wäre fatal, nur auf die Zahlen zu schauen.“ 200.000 Euro haben er und sein Partner Daniel Milicevic in die Hand genommen, um das rund 200 Quadratmeter große Lokal samt Biergarten zu modernisieren. Der Schritt von der „radikalen Schließung zu radikalen Öffnung“ sei für ihn ein wenig zu schnell gekommen, sagt Tappeser: „Wir bringen unser Schiffchen langsam wieder ins Fahrwasser und haben bewusst zunächst nur die Außengastronomie geöffnet.“

Um die volle Fläche direkt zu bespielen, mangele es zudem an Personal. Zwei Mitarbeiter, beide Familienväter, hätten sich während des Lockdowns gegen die Gastronomie entschieden: „Von 1100 Euro Kurzarbeitergeld im Monat kann keiner leben, mit Familie wird das noch schwieriger.“ Dennoch wolle er kein Klagelied anstimmen: „Unser Ziel ist jetzt der Aufbau eines stabilen Teams und eine gesunde Fünf-Tage-Woche. Wir wollen aber nichts überstürzen.“

David Tappeser (links) und Daniel Milicevic eröffneten im vergangenen Oktober – kurz vor dem zweiten Lockdown – das „Käthe und Kalle“ in Rüttenscheid.
David Tappeser (links) und Daniel Milicevic eröffneten im vergangenen Oktober – kurz vor dem zweiten Lockdown – das „Käthe und Kalle“ in Rüttenscheid. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Für eine Zwischenbilanz ist es Stephan Klose noch etwas zu früh. Gemeinsam mit seiner Frau Martina Lotz betreibt er nahe der Messe Essen den Sailors Pub und das Parkhotel. Klar, weniger als null gehe nicht, deswegen sei es jetzt natürlich besser als noch vor ein paar Wochen. Aber die ersten Tage der Öffnung seien unterschiedlich verlaufen. „An manchen Tagen war nichts los, dann war es wieder richtig gut, und ein Stammgast ist sogar an drei Tagen hintereinander gekommen“, sagt er.

Auch das Hotelgeschäft laufe langsam wieder an. Das hänge in Essen besonders am Tropf des Messegeschäfts, das noch immer unsicher ist. Gerade bei internationalen Messen rechnet Klose in diesem Jahr noch mit Absagen und entsprechenden Einbußen. „Da ist immer noch die ganz große Frage nach einer möglichen vierten Welle im Herbst. Wenn es aber so anläuft, wie wir es in unserer Liquiditätsplanung vorsehen, dann packen wir das“, hofft Klose.

Umsatzverlust lag im Mai laut Dehoga bei 70 Prozent im Vergleich zu 2019

Ähnlich vorsichtig fällt die Bilanz von Thorsten Hellwig aus, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststätten-Verbands (Dehoga) NRW: Viele Gastronomen seien von einem Normalbetrieb noch weit entfernt, für manche kleine Läden rechne sich eine Öffnung wegen der Beschränkungen durch Mindestabstände noch nicht. Die Betriebe seien ausgezehrt und an ihre maximale Belastungsgrenze gegangen, sagt Hellwig: „Im Mai 2021 hatten wir einen Umsatzverlust von 70 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Insolvenzzahlen sind noch schwer einzuschätzen, wir wissen aber eines: Eine erneute Schließung wäre toxisch.“

Der Dehoga fordert eine inzidenzunabhängige Planungssicherheit für die Gastronomie – auch dann, wenn die Zahlen wieder steigen sollten. „Die Läden einfach dicht zu machen, kann nicht die Lösung sein. Familienfeiern wie Geburtstage und Hochzeiten werden von langer Hand geplant, da brauchen wir wieder eine Perspektive.“ Dennoch sei die Freude groß, dass mittlerweile sogar kleinere Public-Viewing-Veranstaltungen möglich seien, „das hätte vor vier Wochen niemand gedacht“, sagt Hellwig. Zudem stimme ihn die Ausgeh-Lust der Menschen optimistisch für den bevorstehenden Sommer: „Viele sind einfach ausgehungert und ausgetrocknet, die haben richtig Lust, sich mal wieder bewirten zu lassen. Das zeigt, dass wir vielleicht nicht system- dafür aber ganz bestimmt lebensrelevant sind.“

Viele Gastronomie-Beschäftigte arbeiten mittlerweile in anderen Branchen

Sorgen bereitet der Dehoga der Personalmangel: Eine aktuelle Umfrage des Verbands von Anfang Juni, an der sich 639 Gastronomen und Hoteliers aus NRW beteiligten, bestätigt, dass Beschäftigte coronabedingt bei 56,5 Prozent der teilnehmenden Unternehmerinnen und Unternehmer gekündigt hatten – vorwiegend um in anderen Branchen (45,4 Prozent) zu arbeiten.

Der großen wirtschaftlichen Not während der Pandemie geschuldet mussten sich zudem 27,1 Prozent der befragten Unternehmer selbst von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen. Vergleicht man die Beschäftigten-Zahlen Juni 2019 und Juni 2020 ist der Rückgang deutlich: Im Juni 2020 waren mehr als 55.000 weniger Menschen im Gastgewerbe beschäftigt als noch im Juni 2019.

Der Hotel- und Gaststättenverband geht davon aus, dass nach der kurzzeitigen Erholung im Sommer vergangenen Jahres mit dem zweiten Lockdown Anfang November die Beschäftigtenzahlen wieder gefallen sind. Auch, um die Branche wieder attraktiv zu machen, müsse Politik Rahmenbedingungen unabhängig von den Infektionszahlen schaffen, so der Dehoga-Sprecher.

Sprecher der Celona Gastro GmbH: „Zur EM halten wir uns etwas bedeckt“

Eine „faire, unkomplizierte und zügige finanzielle Hilfe“ im Falle wieder steigender Inzidenzen fordert auch Florian Filsinger, Sprecher der Celona Gastro GmbH, die unter anderem diverse „Barcelona“-Systemgastronomien betreibt. Generell gelte aber, in einer Krise solidarisch zu sein: „Wenn wir aus pandemischen Gründen einen Lockdown brauchen, brauchen wir einen Lockdown.“ Der Weg sei steinig gewesen „aber wir konnten wieder eröffnen - das erging leider nicht allen so in der Branche“, sagt Filsinger.

Große Personalsorgen mache sich seine Gruppe nicht: Zwar es in manchen Regionen schwer, an Aushilfen zu kommen und seien viele mittlerweile in anderen Branchen untergekommen: „Die machen aber auch weniger Spaß“, so Filsinger, der hofft, einige Mitarbeiter wiedergewinnen zu können.

Insgesamt sei er optimistisch: Die Bars seien gut frequentiert und viele Gäste freuten sich über „ein Stück wiedergewonnene Normalität“. Gleichzeitig hätten die Teams viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, welche Regeln nun wo gelten.

Dabei ist auch die Celona Gastro GmbH lieber noch zurückhaltend: Besondere Aktionen zur Europameisterschaft etwa seien nicht geplant, erklärt Filsinger: „Wir halten uns etwas bedeckt. Wir werden die Spiele auf Fernsehgeräten zeigen.“ Aktionen wie „elf Minuten Freibier bei jedem Deutschlandsieg“ werde es dieses Jahr nicht geben.