Düsseldorf. Mehrfach sind zuletzt Polizisten und Ordnungskräfte in NRW durch rechtsextreme Haltungen aufgefallen. Ist das Problem ein strukturelles?
Die suspendierten Polizisten des Präsidiums Essen-Mülheim sind nicht die ersten, die durch rechtsextremes Gedankengut auffallen: Wiederholt sind in der jüngeren Vergangenheit Polizisten und Mitarbeiter der Polizei in NRW durch rechtsextreme Haltungen aufgefallen. In Hamm wurde im Februar der Polizeiverwaltungsbeamte Thorsten W. als mutmaßliches Mitglied einerrechtsterroristischen Terrorgruppe festgenommen. Gegen zwei Polizisten aus dieser Behörde ermittelt intern das Landesamt für Polizeipersonal.
Rassismus-Fälle in der jüngeren Vergangenheit bei der Polizei in NRW
- Schwerer Gang für Innenminister Heribert Reul: Wegen mutmaßlicher rechtsextremer Chatgruppen ermittelt die Polizei in NRW gegen insgesamt 29 Polizeibeamte aus den eigenen Reihen, wie er am Mittwoch, 16. September, öffentlich machte.
- Anfang März wurde ein 57-jähriger Beamte aus Gelsenkirchen vom Dienst suspendiert. Er soll sich rassistisch in den sozialen Medien geäußert haben.
- Im Februar machten gleich mehrere Beamte des Polizeipräsidiums Hamm auf sich aufmerksam. Thorsten W. soll eines von 13 Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppe S. gewesen sein.
- Ein Polizist aus Hamm, Julius H., wurde am 20. Februar zum stellvertretenden Sprecher des AfD-Kreisverbands gewählt. Zu diesem Zeitpunkt wurde der 28-Jährige schon behördenintern überprüft. Er soll rechtsextreme Inhalte auf seinem Facebook-Profilgepostet haben.
- Ebenfalls im Februar funkten zwei Polizisten in Aachen „Sieg, Heil!“, als sie vor einer Synagoge Wache hielten. Dabei gaben die Beamten an, lediglicheinen Film geschaut zu haben, indem diese Worte gefallen seien. Diese seien versehentlich in den Polizeifunk geraten. Gegen die Beamten wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
- Im Herbst 2015 wurde eine 22-jährige Polizeianwärterin aus Aachen von ihren Studienkollegen mit fremdenfeindlichen Motiven gemobbt. Die Verantwortlichen wurden entlassen.
- Nicht nur bei der Polizei wurden Fälle bekannt. Dortmunds Ex-Feuerwehrchef Klaus S. nahm 2010 an rechtsextremen Demonstrationen teil und veröffentlichte über Jahre rassistische Posts im Internet.
- Auch gegen einen Essener Feuerwehrmann ermittelt die Staatsanwaltschaft Duisburg wegen des Verdachts der Volksverhetzung.
Die Polizei Aachen leitete ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Beamte, die Ende Februar „Sieg Heil“ über Polizeifunk verbreitet haben sollen – und das vor einer Synagoge. Drei Beispiele von vielen. Sind das nur Einzelfälle? Oder hat die Polizei ein massives Problem mit Rechtsextremisten in den eigenen Reihen?
Experten sehen schon länger einen Hang von Rechtsextremisten zur Polizei. Das NRW-Innenministerium hat nun Extremisten-Beauftragte für die einzelnen Polizeibehörden gefordert, damit künftig mehr solcher Fälle ans Tageslicht kommen.
Teil einer rechtsterroristischen Gruppe
Die Schlagzeilen der vergangenen Wochenzeigen jedenfalls deutlich: Auch die Polizei in NRW ist nicht frei von Fremdenfeindlichkeit. Innenminister Herbert Reul (CDU) hat im Zuge der Ereignisse je einen Extremismus-Beauftragten für die 47 Kreispolizeibehörden, drei Landesoberbehörden und für die Hochschule der Polizei und der öffentlichen Verwaltung (HSPV) verordnet.
Experten sehen bei Rechtsextremisten schon länger eine Affinität zur Polizei. Hamm, 14. Februar 2020: Bei einer bundesweiten Razzia wird Thorsten W., Verwaltungsmitarbeiter der Polizei Hamm, festgenommen. Er soll Teil der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ gewesen sein. Sie soll Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime geplant haben.
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Thorsten W. ist 50 Jahre alt und hat eine Affinität zu Wikinger-Kleidung, Reichsflaggen und liest die rechte Zeitschrift „Junge Freiheit“. Konsequenzen hat es für ihn in seiner Behörde bisher nichtgegeben – über Jahre hinweg. Seine Kollegen zeigen sich heute schockiert. Gleichzeitig räumt Hendrik Heine, Pressesprecher der Polizei Hamm, ein: „Im Fall Thorsten W. sind Fehler unterlaufen. Einzelne Hinweise wurden nicht zu einem gemeinsamen Bild zusammengefügt. Mit dem Wissen von heute hätten wir früher Konsequenzen ziehen müssen.“
Wache vor der Synagoge
Laut dem Kriminologen Tobias Singelstein von der Ruhr-Universität Bochum liegt es nicht allein am Nichterkennen der einzelnen Hinweise, sondern unter anderem an der „Binnenkultur“ bei der Polizei, die ganz wesentlich von Zusammenhalt geprägt sei und oft zu einer Abschottung gegen Kritik von außen führe – nicht nur in Hamm. „Deshalb werden oftmals auch bei klaren Anzeichen keine hinreichenden Konsequenzen gezogen. Genau das ist aberwichtig: Es muss unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass auch vermeintliche Lappalien wie zum Beispiel rassistische Sprüche nicht geduldet werden“, sagt der Kriminologe.
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Erst vor Kurzem wurde in Aachen ein 57-jähriger Beamter vom Dienstsuspendiert, nachdem er sich im Internetrassistisch geäußert hatte. In Hamm habe man aus den Fehlern gelernt und Ziele formuliert: „Sensibilität erhöhen, Hinweise früh zusammenführen,schnellerer Erkenntnisgewinn und früher Konsequenzen ziehen.“ Zudem sei eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden. „Die Gruppe wird ein Handlungskonzept zur Früherkennung extremistischer Tendenzen entwickeln. Überdies sollen externe Referenten, beispielsweise vom Verfassungsschutz, das Problembewusstsein schärfen“,so Heine. Von einem Rechtsruck innerhalb der Polizei möchte er nicht sprechen.
Auch das NRW-Innenministerium und Michael Maatz, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW(GdP), weisen diesen Verdacht weit von sich. „Rechtsextremismus darf bei der Polizei keinen Raum haben. Aber zum Glücksprechen wir hier von Einzelfällen“, sagt Maatz.
Affinität zu rechten Positionen
Dennoch könne man nicht ausschließen,dass es weitere Polizeibeamte mit rechtsextremistischen Ansichten gebe. „Die Polizei ist ein Abbild der Gesellschaft“, erklärt Maatz, der die Einführung eines Extremismus-Beauftragten ausdrücklich begrüßt. „Wir müssen die Fälle, die es gibt, ans Tageslicht bringen.“Der Bochumer Kriminologe Singelstein erkennt einen Grund für die Häufung der Fälle innerhalb der Polizei zum Teil in der Entwicklung der Kommunikation in der Gesellschaft. „Meine Einschätzung ist, dass vieles heute eher sagbar ist, als noch vor fünf Jahren. Damit werden auch in der Polizei Sachen sichtbar, die früher eher unter der Decke blieben. Außerdem geht die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre natürlich auch nicht spurlos an der Polizei vorbei.“
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Teile der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden hätten laut Singelstein eine Affinität zu rechten Positionen.„Das ist nicht neu und auch nicht nur in Deutschland so, sondern eher ein generelles Phänomen.“Sicherheitskräfte würden von Rechtenregelrecht umworben. „Es ist eine Strategiebestimmter rechtsextremer Gruppen wie auch der Partei AfD, gezielt Polizeibedienstete anzusprechen“, erklärt Singelstein. Einerseits würden die Beamten von der AfD als Erfolg versprechende Zielgruppe angesehen, andererseits verspreche man sich Vorteile davon, Polizeibedienstete in den eigenen Reihen zu haben.
Und genau darin sieht der Kriminologe eine Gefahr: „Nicht nur weil die Politik der AfD in zahlreichen Punkten im Widerspruch zu den Wertendes Grundgesetzes steht, die die Polizei gerade gewährleisten soll. Durch diese Entwicklung werden auch die Grenzen zwischen Konservatismus und extremer Rechter aufgeweicht und verwischt – was im Fall der Polizei dramatische Folgen haben kann.“
Besuche von Aussteigern aus der rechen Szene
Um diesen Tendenzen früh zu begegnen, bieten Polizeihochschulen Kurse zum Thema Rechtsextremismus an. So setzt sich die Forschungsstelle „Polizeigeschichte der Deutschen Hochschule der Polizei“ in Münster intensiv mit der Polizei im Nationalsozialismus auseinander. Bereits vordem Beginn der Ausbildung werden die Bewerber wiederholt überprüft. „Liegen relevante Erkenntnisse vor, die einen begründeten Zweifel an dem Bekenntnis des Bewerbers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellen, erfolgt keine Einstellung, und der Bewerber scheidet sofort aus dem Bewerbungsverfahren aus“,sagt Sevinc Sethmacher vom Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP).
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In Interviews mit den angehenden Polizisten werde unter anderem nach der „Werteorientierung“ der Bewerber gefragt. Zudem werde auch Körperschmuck hinsichtlich verfassungsfeindlicher oder strafrechtlich relevanter Motive geprüft. Die Vermittlung der theoretischen Studieninhalte erfolge dann durch die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein Westfalen (HSPV NRW) an den zehn Studienorten – unter anderem in Aachen und Münster.
Thema ist Schwerpunkt in der Ausbildung
Die Auseinandersetzung mit Rassismus, politisch motivierter Kriminalität, Extremismus und Terrorismus ist laut Sethmacher fester Bestandteil der Polizistenausbildung. „Konkret werden diese Themen in den Fächern Ethik, Staatsrecht, Politikwissenschaft, interkulturelle Kompetenz, Kriminalistik und Einsatzlehre behandelt“, so Sethmacher. „Darüber hinaus werden im Rahmen des im Curriculum verankerten„Tages der Menschenrechte“ landesweit regelmäßig Veranstaltungen angeboten, die eine vertiefte und stärker persönlich orientierte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ermöglichten, etwa durch Gespräche und Begegnungen mit Aussteigern aus der rechtsextremen Szene.
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Das Thema Rechtsextremismus sei seitvielen Jahren ein Schwerpunkt der HSPV NRW, insbesondere des Instituts für Polizei und Kriminalwissenschaften (IPK). Denn:„Die Polizei ist eine zutiefst in den Werten unserer Verfassung verankerte Sicherheits- und Vertrauensorganisation. Sie ist eine demokratische, rechtsstaatliche und werteorientierte Bürger-Polizei mit dem klaren Auftrag der Gewährleistung der Inneren Sicherheit in unserem Staat“, versichert Sethmacher.
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