Düsseldorf/Mülheim/Essen/Moers/Oberhausen/Duisburg. NRW-Innenminister ist schockiert über rechtsextreme WhatsApp-Chats bei NRW-Polizei. 29 Beamte vom Dienst suspendiert, die meisten aus Mülheim.
Wegen mutmaßlicher rechtsextremer Chatgruppen ermittelt die Polizei in NRW gegen insgesamt 29 Polizeibeamte aus den eigenen Reihen. Sie sollen in mehreren Chatgruppen auf WhatsApp neonazistische, rassistische und fremdenfeindliche Bilder und Nachrichten verschickt und empfangen haben. Der Kern des rechtsextremistischen Netzwerks soll bei der Polizei in Mülheim/Ruhr sein, berichtete NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Mittwoch.
„Das ist eine Schande für die NRW-Polizei“, sagte Reul in Düsseldorf. Insgesamt 200 Polizeibeamte hätten am Mittwoch seit 6 Uhr früh an insgesamt 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen Durchsuchungen gestartet. Betroffen seien Dienststellen und Wohnungen in Mülheim, Essen, Oberhausen, Moers und Selm, gab Reul bekannt.
Rechtsextremes Netzwerk bei Polizei? 15 Beamte vom Dienst suspendiert
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Laut Reul seien noch am Mittwoch 15 der beschuldigten Polizistinnen und Polizisten vom Dienst suspendiert worden. Sie hatten ihre Dienstwaffe und Dienstausweise abgeben müssen und dürfen bis auf weiteres ihre Polizeidienststellen nicht mehr betreten, sagte Reul. Auch die restlichen 14 beschuldigten Beamten seien vorläufig des Dienstes enthoben worden.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg teilte in diesem Zusammenhang am Mittwoch mit: „Die Ermittlungen richten sich gegen elf Beschuldigte, denen unter anderem der Verdacht der Volksverhetzung vorgeworfen wird. Die Beschuldigten sind Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe, in der sie insgesamt eine dreistellige Anzahl an Bilddateien mit zum Teil volksverhetzenden Inhalten sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gepostet haben.“
Polizeiskandal löst Entsetzen im Polizeipräsidium Essen/Mülheim aus
Die beschuldigten Polizeibeamtinnen und -beamten seien überwiegend bei der Polizei in Mülheim tätig, führte Reul aus. Ein Beamter sei beim SEK im Polizeipräsidium Essen tätig, ein anderer bei den Landespolizeilichen Diensten in Duisburg, ein weiterer sei frisch versetzt worden in das Landesamt für Ausbildung der Polizei in Selm. „Die allermeisten der betreffenden Polizisten haben irgendwann einmal in derselben Dienstgruppe der Polizei in Mülheim zusammen gearbeitet“, sagte Reul.
Im Polizeipräsidium in Essen zeigte man sich am Mittwoch geschockt von der Nachricht, berichtete eine Sprecherin auf Nachfrage: „Wir müssen das erstmal verdauen“. Dass in der Folge des Skandals nun auf einen Schlag 25 Beamtinnen und Beamten - es sind auch Frauen unter den Beschuldigten - aus dem Streifendienst bis auf weiteres wegfallen, solle nicht dazu führen, dass nun Streifendienste ausfallen, sagte die Sprecherin. Man sei nun dabei, die Personalplanung auf die neue Situation umzustellen, hieß es. Details zur Besetzung und zum vorhandenen Personal im sogenannten Wach- und Wechseldienst wurden auf Nachfrage nicht genannt.
Beschuldigte Beamtinnen und Beamte sollen auch Dienstgeheimnisse verraten haben
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„Ich bin zutiefst bestürzt über das unentschuldbare Fehlverhalten und kann nur mit aller Deutlichkeit sagen, dass im Polizeipräsidium Essen kein Platz für Personen ist, die sich mit solchen rechten Inhalten identifizieren“, sagte Essens Polizeipräsident Frank Richter.
Laut Reul werde einem der beschuldigten Polizeibeamten auch vorgeworfen, er hätte Dienstgeheimnisse verraten. Richter erklärte dazu: „Wer Dienstgeheimnisse verrät und/oder rechtes Gedankengut verbreitet, hat in der Polizei nichts zu suchen! Dieses Handeln steht im krassen Gegensatz zu dem pflichtbewussten und verfassungskonformen Einsatz meiner vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich tagtäglich mit großem Engagement für die innere Sicherheit in Essen und Mülheim an der Ruhr einsetzen.“
Die erste der rassistischen Chatgruppen war seit dem Jahr 2012 aktiv
Laut Reul handle es sich angesichts der Vielzahl der Beamte nicht mehr um Einzelfälle, „ich sehe allerdings auch nicht ein strukturelles Problem bei der NRW-Polizei“, erklärte der Innenminister. Den bisherigen Erkenntnissen nach sei bei bis dato elf der betroffenen Polizeibeamten noch nicht klar, wie weit sie in die rassistischen und rechtsextremistischen Chats tatsächlich involviert gewesen seien, sagte Reul.
Aufgedeckt worden sei das Netzwerk erst vor knapp zwei Wochen, erklärte Reul. Am 3. September seien auf dem Handy eines 32-jährigen Polizeibeamten aus dem Bereich des Polizeipräsidiums Essen rassistische und fremdenfeindliche Chat-Nachrichten und Dateien sichergestellt worden, sagte Reul. Der Beamte sei aber nicht wegen der Nazi-Chats ins Visier interner Ermittlungen gekommen, sondern weil es Hinweise darauf gab, dass er Dienstgeheimnisse an Journalisten ausgeplaudert haben soll, schilderte Reul. Als man dann das Smartphone des Polizisten überprüfte, stieß man auf das rechtsextremistischen Chat-Netzwerk.
Die älteste der betreffenden WhatsApp-Gruppen sei bereits seit dem Jahr 2012 aktiv gewesen, eine weitere wurde 2015 gegründet. Die bisher letzte Chat-Nachricht stamme vom 27. August diesen Jahres, teilte Reul mit. Das betreffende Handy sei anschließend nicht mehr aktiv genutzt worden, sagte Reul.
Reul setzt Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus bei NRW-Polizei ein
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Im Detail sollen bei den Chats auf WhatsApp unter anderem Hitler-Bilder und Hakenkreuze verschickt worden sein. Zudem seien Darstellungen entdeckt worden, die Flüchtlinge in KZ-Situationen zeigten; auch sei ein Bild entdeckt worden, das die fiktive Darstellung einer Erschießung dunkelfarbiger Menschen zeige, erklärte Reul. Er nannte die in den Chats ausgetauschten Bilder und Nachrichten „abscheulich“.
„All das wurde mutmaßlich von Beamten und Beamtinnen der NRW-Polizei getan, die einen Diensteid geschworen haben auf die Verteidigung und die Einhaltung der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen“, entrüstete sich Reul. Der NRW-Innenminister zeigte sich sichtlich erschüttert von dem Fall: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass so etwas bei der NRW-Polizei tatsächlich möglich ist“. Um das Thema Rechtsextremismus in den Reihen der Polizei jetzt intensiv unter die Lupe zu nehmen, kündigte Reul zudem an, den bisherigen stellvertretenden Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann, als Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus bei der NRW-Polizei einzusetzen, „der mir direkt unterstellt ist“. Um die Vorgänge am Polizeipräsidium Essen zu untersuchen, werde zudem eine Sonderinspektion eingesetzt. „Das ist auch als Drohung an mögliche weitere Beteiligte zu verstehen“, sagte Reul.
Gewerkschaft der Polizei stellt sich hinter Innenminister Reul
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„Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stellt sich ausdrücklich hinter das Vorgehen von Innenminister Herbert Reul“, sagte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Michael Maatz am Mittwoch: „Dass heute früh umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen bei den beschuldigten Beamten durchgeführt worden sind und dabei auch Handys und Computer sichergestellt wurden, war richtig“, sagte Maatz. „Wir müssen dafür sorgen, dass Polizisten über jeden Verdacht erhaben sind, sich mit den Parolen von Rechtsextremisten gemein zu machen oder deren Symbole und Äußerungen zu teilen.“
Für die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) erklärte Vorstand Erich Rettinghaus, „die DPolG NRW distanziert sich klar gegen rechtes Gedankengut innerhalb der Polizei – wie auch gegen jedes andere extremistische Gedankengut. Die Polizei muss neutral sein und sich stets auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen.“
DPolG: „Polizei ist ein Spiegel der Gesellschaft“
Rettinghaus betonte, wie auch Reul in der Pressekonferenz, trotz der bisherigen Erkenntnisse gelte „natürlich die Unschuldsvermutung für alle – so auch für die jetzt beschuldigten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten - bis zum Abschluss der Ermittlungen. Diese gilt es nun abzuwarten und Vorverurteilungen zu unterlassen.“
Aus Sicht der DPolG sei die Polizei „ein Spiegel der Gesellschaft“. Die Polizei müsse neutral sein und sich stets auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. Rettinghaus: „Der absolute Großteil der Kolleginnen und Kollegen lebt und verkörpert diese Werte.“
SPD-NRW-Chef fordert Null Toleranz gegen Feinde unserer demokratischen Gesellschaft
„Unsere Bürger müssen vertrauen, dass Polizeibeamte in besonderer Weise unsere Verfassung achten. Dieser Eid- und Vertrauensbruch ist daher ein schwerer Tiefschlag in die Magengrube des Rechtsstaats“, erklärte Marc Lürbke, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktions im NRW-Landtag am Mittwoch. „Das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Vertreter ist Basis unserer freiheitlichen, weltoffenen Demokratie.“
Sebastian Hartmann, Chef der NRW-SPD, sagte zum Polizeiskandal: „Wir brauchen eine schonungslose Aufklärung der Vorgänge und Null Toleranz gegen die Feinde unserer demokratischen Gesellschaft und Verfassung. Erst recht bei Repräsentanten des Staates und bewaffneten Uniformträgern.“ Die Behörden müssten genau hinschauen, den Ermittlern alle erforderlichen Ressourcen geben und in enger Abstimmung mit den Personalräten eine Strategie zur konsequenten Aufdeckung der Netzwerke entwickeln.