Essen. Eltern von Einschulungskindern droht ab Juli erneut eine wochenlange Betreuungslücke. Experten fordern Veränderungen, doch Schwarz-Gelb bremst.
Den Eltern von Schulanfängern drohen in diesem Sommer erhebliche Engpässe bei der Unterbringung und Betreuung ihrer Kinder. Weil das neue Schuljahr erst am 28. August beginnt, der Betreuungsvertrag mit der Kita aber schon zum 31. Juli endet, entstehen in der Übergangszeit teils wochenlange Lücken. Um diese zu schließen, fordert der Landeselternbeirat der Kitas (LEB) in NRW jetzt eine sinnvolle Anpassung des Kitajahres an den Schulbeginn. Danach würde das Kindergartenjahr künftig am 1. September und nicht wie gewohnt bereits ab August starten.
Viele Kitas in NRW werden die kurzfristige Doppelbelastung durch den neuen Kita-Jahrgang und die Weiterbetreuung der Einschulungskinder kaum stemmen können – die Einrichtungen sind bisweilen schon jetzt überlastet. „Die Situation bereitet uns große Schwierigkeiten“, bestätigt Barbara Wagner, Vorsitzende der Kita-Arbeitsgemeinschaft im Bistum Essen, dem rund 300 katholische Kindergärten angehören. Weil in den Sommerferien zudem ein Großteil der Kitas für drei Wochen schließt, ist die betreuungsfreie Zeit in diesem Jahr bis zu acht Wochen lang.
Nicht nur Eltern sind die Leidtragenden
Das Phänomen als solches ist dabei kein neues, wie der LEB-Vorsitzende in NRW, Darius Dunker, weiß: „Je nachdem, wie die Schulferien fallen, stehen die Eltern in NRW regelmäßig vor einem ernsthaften Betreuungsproblem.“ Solange die Stichtage derart unterschiedlich lägen, werde man dieses Thema Jahr für Jahr aufs Neue haben, sagt auch Sabine Prott, Leiterin des Kita-Geschäftsfelds bei der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe. Eine Besserung sei nicht in Sicht.
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„Bisher lässt die Politik die Eltern damit im Stich“, kritisiert Katja Wegner-Hens, Bundessprecherin der Kita-Eltern aus Geilenkirchen. Zwar sei der Betreuungsanspruch von Kindern bis zum ersten Schultag bundesgesetzlich geregelt, in der Praxis klafften jedoch trotzdem Lücken. „Natürlich können Eltern mit der Kita sprechen und versuchen, den Vertrag um einen Monat zu verlängern“, so Wegner-Hens, selbst fünffache Mutter, „aber ab dem 1. August werden die Plätze nun einmal neu belegt. Oft gibt es gar keine Kapazitäten, der Platzmangel ist ohnehin schon enorm.“ Auch Ferienpass-Aktionen oder andere städtische Angebote könnten diesen nur punktuell abfedern.
Insbesondere Alleinerziehende würden von der großen Betreuungslücke hart getroffen, ohne unbezahlten Urlaub oder Krankschreibungen sei die Situation für sie oft nicht zu bewältigen. Und das, obwohl die Kitas nach Kräften versuchen, gemeinsam mit den Eltern Lösungen zu finden, wie Wagner versichert: „Wir kennen unsere Familien und wissen, wo die Unterstützung besonders benötigt wird. Die Kitas sind an der Stelle schon sehr sozial, aber das ist eine Gesetzeslücke, die auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher ausgetragen wird. Und das ist einfach fatal“, so die Expertin weiter.
Kritik an der Landesregierung wird lauter
Der LEB erwartet von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) daher, das Problem im Zuge der anstehenden Kinderbildungsgesetz-Reform (Kibiz) endlich anzugehen. Die Landesregierung verwies auf Anfrage jedoch lediglich auf die bereits bekannten Betreuungsmöglichkeiten für die Übergangszeit: So könnten schulpflichtig gewordene Kinder durch eine Vertragsverlängerung bis zum ersten Schultag weiter die Kita besuchen oder aber die Ferienangebote des Offenen Ganztags wahrnehmen. In der anstehenden Reform wolle man die Möglichkeiten der Betreuung zudem noch einmal „deutlich(er) herausstellen“, wie ein Sprecher des Ministeriums erklärte.
Wegner-Hens indes hält dagegen: „Die Chance, dass die Kinder schon die Offene Ganztagsschule besuchen, besteht nur dann, wenn die Eltern auch im kommenden Schuljahr einen solchen Platz beanspruchen. Nicht alle Eltern möchten das allerdings. Darüber hinaus gibt es auch hier nicht genügend Plätze“, so die Sprecherin der Kita-Eltern. Eine kluge Regelung des Schulübergangs, so kritisiert auch Darius Dunker, „muss sich an den Bedürfnissen der Familien und insbesondere am Kindeswohl, und nicht an einer bequemen Lösung für die Kita-Bürokratie ausrichten.“
Auch dem Kita-Personal ist an einer schnellen Veränderung gelegen: Das Problem gebe es schließlich schon seit Jahren, erklärt Wagner, und jedes Jahr stünden dadurch neue Familien vor großen Herausforderungen. „Aber“, fügt sie hinzu, „uns als Einrichtungen betrifft das Ganze eben fortlaufend. Wir würden uns deshalb wünschen, dass der Gesetzgeber hier stärker hinschaut und die Situation nicht stillschweigend auf unsere Kosten bestehen lässt.“
>>> Der Betreuungsanspruch ist gesetzlich verankert
Eigentlich ist der Anspruch auf eine ganzjährige Betreuung des Kindes bis zu dessen Schuleintritt gesetzlich geregelt:
So heißt es in §24, Absatz 3 des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB VIII): „Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht.“
Bereits in §22a, Absatz 3 (SGB VIII) steht zudem geschrieben: „Werden Einrichtungen in den Ferienzeiten geschlossen, so hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Kinder, die nicht von den Erziehungsberechtigten betreut werden können, eine anderweitige Betreuungsmöglichkeit sicherzustellen.“