Essen/Dortmund. . Immer mehr Eltern suchen einen Kita-Platz fürs Kind. Doch in den Kitas herrscht Personalnot: Eine Leiterin erzählt, was das im Alltag bedeutet.

Die Hilferufe aus Kitas der Nachbarschaft erhält Barbara Schulte meist per Telefon. Es sei jemand krank geworden, nun fehlten Erzieherinnen, um alle Kinder zu betreuen. Ob Schulte aus ihrem Team kurzfristig jemanden abgeben könne? Die 60-Jährige leitet die katholische Kita Heilige Familie in Dortmund-Marten, elf Erzieherinnen kümmern sich in Voll- und Teilzeit um 56 Kinder. „Das ist eine gute Besetzung, aber übrig haben wir deshalb niemanden“, sagt Schulte. „Der Fachkräftemangel ist überall zu groß.“

In Deutschland fehlen Erzieher. Nicht einige wenige, sondern eine ganze Menge: Neun von zehn Kita-Leitungen in Deutschland beklagen, dass sie mit zu wenig Personal arbeiten, um eine hohe Betreuungsqualität gewährleisten zu können. Das geht aus einer aktuellen repräsentativen Studie hervor, die beim am Dienstag beginnenden Deutschen Kitaleitungskongresses von der Erziehungsgewerkschaft VBE und Partnern vorgestellt wird.

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Dem Vernehmen nach wird die Situation in NRW als noch verheerender beschrieben. Es gibt offenbar kaum eine Leitung, die nicht über Unterbesetzung klagt - und das ausgerechnet in Zeiten, in denen immer mehr Eltern ihren Nachwuchs in einer Kita betreuen lassen.

Erzieher sind zum Multitasking verdonnert

Was der Fachkräftemangel im Alltag bedeutet, kann Barbara Schulte ohne Umschweife berichten: „Die Anforderungen sind enorm gestiegen und nehmen weiter zu. Auch wenn Erzieher alles versuchen möglich zu machen, irgendwann leidet die Qualität der Betreuung“, sagt die Dortmunderin.

Dabei seien die Kita-Gruppen selbst mit voller Teamstärke zu groß. 23 Kinder über drei Jahren werden in Dortmund-Marten in einer Gruppe betreut. „Und das ist schon das Ende der Fahnenstange“, meint Schulte. „Als ich vor 40 Jahren als Erzieherin angefangen habe, hatten wir Gruppen mit 30 Kindern. Heute sind die Kinder aber lebhafter, sie haben vielfältigere Ansprüche.“ Kinder mit Bewegungsdrang, mit Sprachproblemen, mit Beeinträchtigungen, mit Zuwanderungsgeschichte. Dazu kommen Eltern mit verschiedensten Hintergründen und Hilfsbedarfen.

Kita-Leitungen über Belastungen im Job

In Düsseldorf kommen am Dienstag und Mittwoch rund 3000 Kita-Leitungen aus ganz Deutschland zusammen, um über die Folgen des Fachkräftemangels in ihren Einrichtungen zu sprechen. Zu den Referenten gehört die frühere Schwimmweltmeisterin Franziska van Almsick, die über die Überwindung von Leistungstiefs sprechen wird.

Am Mittwoch stellt der Verband für Bildung und Erziehung (VBE), Vertreter von 140.000 Pädagogen aus Kitas und Schulen, mit Partner eine Studie zur Arbeitsbelastung in den Einrichtungen vor.

Jedes Kind müsse individuell gefördert werden. Dafür brauche es Kleinstgruppen, die aber vor- und nachbereitet, deren Erfolge immer umfangreicher dokumentiert werden müssen. Bei Krankheitsfällen oder bei nötigen Fortbildungen und Dienstbesprechungen, die meist bei laufendem Betrieb individuell geplant werden müssen, sei das nicht zu stemmen. „Dann sichern wir nur noch die Betreuung.“

Erzieher würden immer häufiger zum Multitasking verdonnert - betreuen, beraten, dokumentieren, nebenbei noch schnell die Temperatur des Kühlschranks mit den Frühstückszutaten notieren, weil die Stadt das so vorschreibt. „Manchmal kommt man sich mehr als Managerin denn als Erzieherin vor“, sagt Schulte.

Experten: Puffer für Krankheitsfälle und Urlaube nötig

In vielen Einrichtungen ist die Not inzwischen so groß, dass sich Arbeitnehmervertreter zusammengeschlossen haben, um Abhilfe zu schaffen. „Mehr Große für die Kleinen“ heißt ein in diesem Jahr gegründetes NRW-Bündnis, hinter dem Gewerkschaften und Mitarbeiter freier Träger stehen. „Die Belastungsgrenze ist überall erreicht“, sagt Thorsten Böning, Bündnissprecher und Mitarbeitervertreter beim katholischen Kita-Zweckverband. Seit 2008 vertritt er die Interessen seiner Kollegen. „Der Unmut war noch nie so groß wie heute.“

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Zwar ist über das Kinderbildungsgesetz des Landes vorgegeben, wie die Kitas finanziert und damit wie viele Erzieher zur Betreuung der Kinder bereitstehen sollten. Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter müssen aber nicht nur die Gruppen kleiner werden. Es fehlten auch Gelder, um einen festen Personal-Puffer etwa für Krankheitsfälle aufzubauen. „Kurzfristig Krankheitsvertretungen zu finden, kann man eigentlich knicken“, sagt Böning.

Kita schickt Kinder wegen Personalnot nach Hause

In Duisburg hatte eine Kita-Leitung jüngst sogar Eltern angerufen und gebeten, ihre Kinder zu Hause zu behalten, weil Aushilfen fehlten. Dass Kitas kurzfristig unterbesetzt sind, geschehe derzeit häufiger, heißt es vom Landesjugendamt des Landschaftsverbandes Rheinland. Gründe seien Krankheitswellen oder viele Schwangerschaften - Ersatz für ausfallende Fachkräfte gibt es kaum. Im Bereich des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sind seit März 2018 drei Kitas sogar vorübergehend gänzlich geschlossen worden, weil der Krankenstand zu hoch gewesen ist.

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Anfang April will NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) eine Reform des Kibiz vorstellen. Darin soll es auch um flexiblere Betreuungszeiten und neue Personalschlüssel gehen.

Barbara Schulte reicht das nicht. Sie wünscht sich vor allem eine höhere Wertschätzung ihres Berufs. „Wir leisten Bildungsarbeit und damit ist unsere Arbeit gleichwertig mit der von Grundschulen.“ Nötig sei eine Gleichstellung. Doch davon sei man weit entfernt. Stattdessen müssten sich Erzieher immer noch gegen Vorurteile wehren: Wenn sie als „Bastel- und Spieltante“ beschrieben werden, sagt Schulte, enttäusche das jedes Mal aufs Neue.