Kiew. Panzer in Mariupol, schwere Gefechte in Donezk: Die Lage im Südosten der Ukraine hat sich am Donnerstag extrem zugespitzt. Nach Nato-Angabe hat Russland mehr als 1000 Soldaten in der Ukraine stationiert. Kanzlerin Merkel fordert schärfere Santionen.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat Russland einen Militäreinmarsch in sein Land vorgeworfen. "Ich habe einen Besuch in der Türkei abgesagt, (...) da eine Intervention russischer Streitkräfte in der Ukraine stattfand", erklärte Poroschenko am Donnerstag in Kiew. "Der Platz des Präsidenten ist heute in Kiew." Die Lage im Raum Donezk, darunter Amwrosijewka und Starobeschewo, habe sich "extrem verschärft", betonte er. Der prowestliche Staatschef forderte mit Nachdruck Sondersitzungen des Weltsicherheitsrats und des EU-Rates. "Die Welt muss sich zur heftigen Verschärfung der Lage in der Ukraine äußern", forderte er. Poroschenko berief den Sicherheitsrat des Landes zu Beratungen ein.
EU will auf Sondergipfel über schärfere Sanktionen beraten
Die Europäische Union wird bei ihrem Sondergipfel in Brüssel am Samstag über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beraten. Dies kündigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstagabend in Berlin an. "Wir wollen diplomatische Lösungen, wir werden da auch nicht nachlassen", sagte Merkel. "Aber wir müssen feststellen, dass sich die Dinge in den letzten Tagen wieder erschwert und verschlechtert haben."
Die Kanzlerin verwies auf Vereinbarungen innerhalb der EU, wonach bei einer weiteren Eskalation in der Ukraine über weitere Strafmaßnahmen gesprochen werden müsse. Jetzt gebe es Berichte, wonach es eine "verstärkte Präsenz auch russischer Soldaten gibt und auch neue Unruhen und neue Vormärsche". Deshalb würden sich die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder neu mit der Frage von Sanktionen beschäftigen. "Das Thema wird auf der Tagesordnung des Rates sein."
Mehr als 1000 russische Soldaten in der Ukraine
Russland setzt nach Angaben der Nato derzeit mehr als 1000 eigene Soldaten in der Ukraine ein. "Wir schätzen, dass deutlich mehr als 1000 russische Soldaten innerhalb der Ukraine operieren", sagte ein ranghoher Offizier der Nato im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. "Das ist eine eher konservative Schätzung. Dahinter steht sehr große militärische Stärke."
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"Sie unterstützen die Separatisten, sie kämpfen mit ihnen", sagte der Offizier. Es habe in den vergangenen beiden Wochen eine deutliche Verstärkung der russischen Militäroperationen gegeben. Im russischen Grenzgebiet zur Ukraine seien schätzungsweise rund 20 000 Soldaten stationiert. Sie seien besser ausgerüstet als zuvor eingesetzte Truppen. "Das ist eine Invasionsarmee."
Nach Nato-Angaben bedienen die in der Ukraine eingesetzten russischen Soldaten kompliziertes Militärgerät. Die Russen seien Ratgeber der Separatisten und befänden sich "bis zu 50 Kilometer innerhalb ukrainischen Gebiets", so der Nato-Offizier.
"Wir haben in den vergangenen Wochen eine beachtliche Eskalation der russischen Militäraktivitäten gesehen." Zur Frage, ob es Beweise für die Teilnahme russischer Soldaten an den Kampfhandlungen gebe, sagte er: "Wir sehen, dass die russischen Verluste mit unseren vertraulichen Informationen übereinstimmen." Die militärischen Aktivitäten Russlands würden immer öffentlicher unternommen.
Russland dementiert Einmarsch im Nachbarland
Russland hat einen Einmarsch in der Ostukraine dementiert. Die russische Führung habe "keinerlei Interesse" an einer Invasion in der Ostukraine, sagte der russische OSZE-Vertreter Andrej Kelin laut Nachrichtenagentur APA am Donnerstag in Wien. "Wir haben ganz klar gesagt, dass Russland mit Ausnahme von zehn Grenzsoldaten keine Truppen in der Ostukraine hat." Die westlichen Bedenken entbehrten jeder Grundlage.
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Auch die Separatisten haben den Berichten widersprochen. "In Kiew wiederholt man sich mit dem Einmarsch, um die Niederlagen der ukrainischen Armee irgendwie zu erklären", teilten die Aufständischen mit. Es gebe keine russischen Truppen im Kampfgebiet.
Moskau äußert sich nicht zu Vorwürfen
Das ukrainische Militär hatte zuvor mitgeteilt, die Kontrolle über eine Grenzregion im Südosten weitgehend verloren zu haben, und Einheiten aus dem Nachbarland dafür verantwortlich gemacht. "Gestern gingen die Stadt Nowoasowsk sowie eine Reihe von Ortschaften der Kreise Nowoasowsk, Starobeschewo und Amwrosijewka unter die Kontrolle russischer Militärs", erklärte der nationale Sicherheitsrat in Kiew.
Russland weist Vorwurf des Einmarsches zurück
Moskau äußerte sich zunächst nicht zu den schweren Vorwürfen. Russland hatte wiederholt zurückgewiesen, in der Ukraine militärisch aktiv zu sein. In der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik kämpfen Regierungseinheiten gegen prorussische Separatisten.
Die ukrainische Führung wirft den Separatisten vor, rund um die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol eine "zweite Front" zu eröffnen. Die Aufständischen teilten mit, mit Panzern die Stadt Nowoasowsk nahe Mariupol erreicht zu haben. "Die Befreiung der Stadt ist eine Sache von Tagen", kündigte ein Separatistensprecher an. Die Armee bereitet sich auf eine Offensive vor.
Mindestens 16 tote Zivilisten in Donezk in wenigen Tagen
"Wir formieren zwei Verteidigungslinien und graben uns ein", sagte ein Militärsprecher. Die Region Mariupol am Asowschen Meer ist die Landverbindung zwischen Russland und der von Moskau im März einverleibten Halbinsel Krim.
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In der Großstadt Donezk sind bei den schwersten Gefechten seit Tagen mindestens 16 Zivilisten getötet worden. Mehr als 20 Menschen wurden bei den Kämpfen zwischen Donezk, und prorussischen Aufständischen verletzt, wie die Stadtverwaltung am Donnerstag mitteilte. Durch heftigen Artilleriebeschuss seien zahlreiche Wohnhäuser zerstört und die Wasserversorgung beschädigt worden.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erörterte in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Lage. Der prowestliche Staatschef habe dabei ein baldiges Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe unter dem Patronat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angekündigt, teilte Poroschenkos Pressestelle in Kiew mit. Die Verhandlungen finden vermutlich in der weißrussischen Hauptstadt Minsk statt. (dpa)