Kiew/Berlin. Im Ukraine-Konflikt wird immer deutlicher, dass Russland im Kampfgebiet militärisch aktiv ist. Berichte der ukrainischen Armee über gewaltige russische Militärkonvois mit mehr als 100 Fahrzeugen werden allerdings bezweifelt. Wieder schlägt die Stunde der Telefondiplomatie.
Russland hat nach unbestätigten Angaben der ukrainischen Streitkräfte eine Militärkolonne in die umkämpfte Region bei Donezk geschickt. Insgesamt seien mehr als 100 Fahrzeuge im Osten der Ukraine unterwegs, teilte ein Armeesprecher am Mittwoch mit. Allerdings konnte der nationale Sicherheitsrat in Kiew diese Angaben am Abend nicht bestätigen. Kiew hat in der Vergangenheit schon häufiger von eingedrungenen Militärkonvois aus Russland gesprochen, dafür aber keine stichhaltigen Beweise vorgelegt.
In einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verlangte Bundeskanzlerin Angela Merkel Aufklärung über Berichte zur Präsenz russischer Soldaten auf ukrainischem Territorium. Russland sei aufgerufen, hierzu seinen Teil beizutragen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Merkel habe die große Verantwortung Russlands für eine Deeskalation und für eine Überwachung der eigenen Grenze unterstrichen.
Nach Angaben des Kremls fand das Telefonat auf Initiative der Bundesregierung statt. Putin habe Merkel dabei über einen geplanten zweiten Hilfskonvoi Moskaus für das Krisengebiet informiert. Ein erster Konvoi hatte in den vergangenen Wochen einen heftigen Streit zwischen Moskau und Kiew ausgelöst.
Putin und Poroschenko bekräftigen Willen zu friedlicher Lösung
Zuvor hatte die Kanzlerin mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko telefoniert. Dabei appellierte sie an beide Seiten, endlich zu einem Waffenstillstand und zu einer zuverlässigen Kontrolle der Grenze zu kommen.
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Am Dienstag hatten Putin und Poroschenko bei einem Treffen in Minsk ihren Willen zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bekräftigt. Kiew wirft Moskau vor, die Separatisten im Osten mit Kämpfern und Waffen zu unterstützen. Bei ihrem ersten direkten Gespräch seit fast drei Monaten vereinbarten sie ein Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe. Die Runde besteht aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der Aufständischen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bot deutsche Unterstützung an. "Wir tun, was wir können, um jetzt den neu geknüpften Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen." Er mahnte Kiew und Moskau, die Gespräche "unverzüglich" fortzusetzen.
Kämpfe im Osten der Ukraine gehen weiter
Putin hatte in Minsk darauf bestanden, dass die Aufständischen Ansprechpartner für Kiew seien. Russland könne keine Waffenruhe beschließen. Zur Beruhigung der Lage an der Grenze sollen nach Angaben Poroschenkos Grenzschutz und Generalstäbe beider Länder Beratungen aufnehmen.
Moskau wies erneut Vorwürfe einer geplanten Annexion der umkämpften Gebiete Donezk und Lugansk zurück. "Wir sind nicht daran interessiert, den ukrainischen Staat zu zerstören", sagte Außenminister Sergej Lawrow. Allerdings dürften russische Bürger in der Ostukraine nicht benachteiligt werden.
Die Kämpfe im Osten der Ukraine gingen ungeachtet aller Appelle auch am Mittwoch weiter. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Aufständischen sprachen von Geländegewinnen. Bei Gefechten um die Stadt Ilowaisk und die strategisch wichtige Anhöhe Saur-Mogila sollen auf beiden Seiten zahlreiche Kämpfer verletzt oder getötet worden sein.
Regierungstreue Bataillone sollen eingekreist sein
In der umkämpften Großstadt Donezk wurden nach Angaben des Stadtrats mindestens drei Zivilisten getötet. In der Separatistenhochburg Lugansk berichteten die Aufständischen von Luftangriffen der Armee. Innerhalb von 24 Stunden wurden Angaben aus Kiew zufolge mindestens 13 Soldaten getötet und mehr als 30 verletzt. Unabhängige Berichte über das Kampfgeschehen gab es nicht.
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Hunderte Demonstranten forderten in Kiew Hilfe für eingekesselte Regierungstruppen in der Region Donezk. Nach Darstellung der Aufständischen sollen mehrere regierungstreue Freiwilligenbataillone eingekreist sein.
Ein Mitarbeiter von Präsident Poroschenko schloss eine baldige Feuerpause im Osten der Ex-Sowjetrepublik aus. "Nur weil diplomatische Bemühungen zur Verbesserung der Lage laufen, können wir militärische Manöver nicht einstellen", sagte der Vizechef der Präsidialverwaltung, Waleri Tschaly. Eine Waffenruhe bleibe aber ein Ziel.
Im Gasstreit mit der Ukraine wies Russland Vorwürfe aus Kiew über einen angeblich geplanten Lieferstopp für Westeuropa als "haltlos" zurück. "Wir werden weiterhin alles für die Erfüllung unserer vertraglichen Verpflichtungen tun", teilte Energieminister Alexander Nowak mit. Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russisches Gas auf dem Weg nach Westeuropa. (dpa)