Berlin. Im Ukraine-Konflikt zieht die EU die Daumenschrauben fester: Erstmals wurden Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschlossen. Auch die USA erhöhten den Druck auf den Kreml - und verschärften bestehende Finanzhürden.

Nach der EU ziehen auch die USA in der Ukraine-Krise die Sanktionsschraube gegen Russland an. US-Präsident Barack Obama sprach von einer eng koordinierten Aktion. Die Strafmaßnahmen gegen den russischen Finanzsektor sowie gegen den Energie- und Militärsektor würden jetzt "noch mehr Biss haben".

Auf Fragen Obama machte aber auch klar: "Dies ist kein Kalter Krieg." Kremlchef Wladimir Putin müsse sich aber entscheiden und seine Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine aufgeben. Bisher zeige Putin aber noch kein Einlenken.

Hinweise auf Versorgung mit schweren Waffen

"Russland isoliert sich heute erneut selbst von der internationalen Gemeinschaft", sagte Obama am Dienstag (Ortszeit). Er fügte hinzu, es gebe Hinweise, dass Russland pro-russische Separatisten weiter mit schweren Waffen versorge.

Das Washingtoner Finanzministerium setzte nach eigenen Angaben unter anderem drei weitere Banken auf die Sanktionsliste. Es handele sich um die Bank von Moskau, die Russische Landwirtschaftsbank sowie die VTB Bank. Dadurch werde der Zugang zu mittel- und langfristiger Dollarfinanzierung erschwert, hieß es.

Auch EU hatte sich auf neue Sanktionen geeinigt

Betroffen seien auch das größte russische Schiffsbau-Unternehmen (United Shipbuilding Corporation), Technologiefirmen im Militärbereich sowie Unternehmen aus der Ölbranche.

Nur Stunden zuvor hatte auch die EU gehandelt. Die Botschafter der 28 Mitgliedstaaten einigten sich in Brüssel auf ein Paket von Strafmaßnahmen, in dem erstmals Wirtschaftsbereiche im Zentrum stehen. Dabei wird Russland an empfindlichen Stellen getroffen, etwa durch einen erschwerter Zugang zu EU-Finanzmärkten, ein Verbot künftiger Rüstungslieferungen sowie ein Exportverbot für bestimmte Hochtechnologiegüter an das russische Militär. Es geht dabei auch Exportverbote für Spezialtechnik zur Ölförderung. Die Schritte müssen bis Donnerstag von den EU-Regierungen formell gebilligt werden.

USA deutlich weniger abhängig von Russland als EU

Die USA hatten die Europäer seit längerem zu härteren Maßnahmen gedrängt. Obama hatte zeitweise auf eine härte Gangart verzichtet und ein Handeln im Gleichklang mit der EU vorgezogen. Als Ursache des Zögerns der EU gelten die europäischen Russlandexporte sowie die Energieimporte aus Russland - die US-Ausfuhren sind im Vergleich deutlich geringer. Obama sagte am Dienstag, die EU und die USA seien "das Herz der Koalition" im Widerstand gegen die russische Ukrainepolitik.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy nannte die EU-Schritte eine "scharfe Warnung", Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte sie "unumgänglich". Die russische Führung müsse nun entscheiden, ob sie den Weg der Deeskalation und der Zusammenarbeit einschlagen wolle. "Die Sanktionen der EU können überprüft werden, es sind aber auch zusätzliche Schritte möglich", sagte Merkel.

Die Sanktionen der EU erreichen mit dem Beschluss vom Dienstag eine neue Qualität: Bisher hatte die EU in mehreren Schritten insgesamt gegen 87 Personen Einreisverbote und Kontensperrungen erlassen. Zugleich waren 20 Organisationen und Firmen - darunter zwei auf der von Russland annektierten Krim - auf eine schwarze Liste gesetzt worden: Ihnen wurden Geschäfte in der EU verboten.

Verbot von Rüstungslieferungen

Neben der Blockade der Finanzmärkte, die in den kommenden Monaten noch ausgeweitet werden könnte, war vor allem das Verbot von Rüstungslieferungen nach Russland in der EU umstritten. Vom Sanktionsbeschluss werden nur künftige Verträge erfasst. Vor allem Frankreich hatte darauf gedrungen, weil es zwei Hubschrauberträger im Wert von 1,2 Milliarden Euro noch an Russland ausliefern möchte. Die EU hatte 2012 Lizenzen für Rüstungsexporte im Wert von 193 Millionen Euro erteilt. Davon entfielen alleine 118 Millionen auf Frankreich. Deutschland lag mit 40 Millionen Euro auf Platz zwei.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Sanktionen 

Wie empfindlich kann die EU Russland treffen?

Die bislang diskutierten Sanktionen packen das Land durchaus an einer empfindlichen Stelle. Neben einem Ausfuhrstopp für Waffen soll es auch um Hochtechnologie und Spezialanlagen zur Ölförderung gehen.

Weil Russlands Wirtschaftsmodell bislang ganz entscheidend auf der Gewinnung und dem Export von Energie beruht, müsste sich das Land nach Alternativen bei Lieferanten umsehen. Schmerzlich könnten sich auch die Hindernisse beim Zugang zum europäischen Kapitalmarkt entwickeln.

Verfügt Russland nicht über genügend finanzielle Reserven?

Bislang schon: Das stürmische Wachstum der Vergangenheit beruhte auf sprudelnden Energieexporten - und steigenden Preisen für Energie. Dieser Trend hat sich aber nicht ungebremst fortgesetzt. Das Wachstum wird langsamer, mit entsprechenden Folgen für die Deviseneinnahmen.

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Devisenreserven schrumpfen, der Rubel gerät unter Druck. "Die Abhängigkeit Russlands von externen ausländischen Finanzierungen hat in den letzten Jahres stark zugenommen", urteilen die Volkswirte der Hypovereinsbank (HVB) vor diesem Hintergrund.

Und kann Russland sich nicht frisches Kapital beschaffen?

Der russische Staat hat wachsende Probleme, Kapital aufzunehmen. Der Zinssatz für russische Staatsanleihen ist zuletzt binnen eines Monats um einen Prozentpunkt auf 9,3 Prozent gestiegen. Die Schuldenaufnahme wird also immer teurer für den russischen Staat. Geplante Verkäufe von Staatsanleihen wurden vor diesem Hintergrund schon mehrfach abgesagt. Offizielle Begründung: "Ungünstige Marktkonditionen".

Aber Russland gehört doch zu den Riesen der Weltwirtschaft?

Schon. Als Mitglied der schnell wachsenden BRIC-Entwicklungsländer wird Russland in einem Atemzug mit Brasilien, Indien und China genannt. Binnen eines Jahrzehnts hat es das Riesenreich von Platz 16 auf Platz 8 der weltweit größten Volkswirtschaften geschafft.

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Aber die "goldenen Jahre" mit Wachstumsraten von sechs, sieben oder acht Prozent sind schon lange vorbei. Russlands Wirtschaftsleistung legte 2013 nur noch um 1,3 Prozent zu. Für 2014 hat der IWF seine Prognose jüngst von 1,3 auf nur noch 0,2 Prozent gekappt. Russland droht eine Rezession - mit entsprechenden Folgen auch für seine Handelspartner.

Wie sehen die Folgen aus?

Russland hatte zuletzt (2013) Waren für rund 36 Milliarden Euro in Deutschland gekauft. Das entspricht rund 3 Prozent aller Exporte. Damit steht das Land zwar nur auf Platz 11 der wichtigsten Kunden - hinter Handelspartnern wie zum Beispiel Belgien, Polen, der Schweiz oder Österreich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes führen aber lediglich 10 Prozent aller Exporteure Waren nach Russland aus.

"Für etwa 73 Prozent dieser Unternehmen machen die Exporte nach Russland maximal ein Viertel ihrer gesamten Exporte aus." Einzelne Firmen oder Branchen könnten also deutlich heftiger getroffen werden als die Gesamtwirtschaft. Für die deutsche Schlüsselbranche Maschinenbau ist Russland zum Beispiel der viertgrößte Exportpartner, und die Maschinenbauer verbuchen schon jetzt deutlich rückläufige Russland-Exporte.

Und wie geht es nun weiter?

Das ist so lange offen, wie es keine Listen gibt, welche Produkte und Firmen genau von Handelsbeschränkungen betroffen sind. Unklar ist auch, ob Beschränkungen für bereits laufende Geschäfte gelten oder nur für neue Aufträge.

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Der Außenwirtschaftsexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Heiko Schwiderowski, berichtet von täglich 20 bis 30 Anrufen zu diesem Themenkomplex. Das zeige, wie groß die Verunsicherung ist. Einzelne Firmen berichten, russische Kunden sähen sich schon jetzt nach Alternativen zum Beispiel in Asien um. Die Mehrzahl der 6300 deutschen Unternehmen, die sich direkt auf dem russischen Markt engagieren, seien Klein- und Mittelbetriebe, sagte Mittelstandspräsident Mario Ohoven der "Leipziger Volkszeitung".

Droht damit ein handfester Konjunktureinbruch?

Eher nicht. Sollte die ohnehin aktuell schwächelnde russische Wirtschaft weiter einbrechen, hätte das zwar auch negative Konsequenzen für Deutschland. Wegen des begrenzten Anteils der Exporte nach Russland wäre das für die deutsche Wirtschaft aber "wohl verschmerzbar", meinen die HVB-Ökonomen. "Käme es durch Handelssanktionen über einen längeren Zeitraum zu einer Rezession in Russland, könnte uns das 0,5 Prozentpunkte Wachstum kosten", schätzt Ohoven.

Was heißt das für die NRW-Wirtschaft?

NRW ist das exportstärkste Bundesland. Fast Zweidrittel aller NRW-Exporte gehen in EU-Länder. Das spiegelt sich auch im Ranking der zehn wichtigsten Zielregionen wider, zu denen Russland – anders als etwa die Schweiz und Polen – nicht gehört. Nur im Maschinenbau liegt Russland mit einem Handelsvolumen von 1,5 Milliarden Euro auf Platz vier. Einzelne Firmen oder Branchen könnten also deutlich heftiger getroffen werden als die Gesamtwirtschaft. (dpa)