Berlin. Selbst Mediziner bezweifeln, dass Massenuntersuchungen viel bewirken. Auch die Politik fordert die Überprüfung der heute üblichen Tests. Allerdings sind nicht alle Verfahren gleichermaßen in der Kritik. So zweifelt kaum jemand am Sinn der Darmkrebs-Vorsorge. Fragen und Antworten zum Thema.

Millionen Deutsche lassen sich jedes Jahr auf Brustkrebs, Hautkrebs oder Prostatakrebs untersuchen – doch wie sinnvoll sind Früherkennungstests? Der Essener Mammografie-Skandal befeuert die Frage neu.

Wissenschaftler und Patienten sind allerdings schon länger skeptisch. Auch Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery fordert, Risiken und Nutzen solcher Screening-Programme genauer zu untersuchen.

Sind Massentests nutzlos?

Die Zahl der Todesfälle lasse sich durch Massenuntersuchungen zum Teil „nur marginal“ senken, sagt Montgomery. Lohnt sich dafür der millionenfache Aufwand – „bringt das was?“, fragt der Ärztepräsident. Und: „Erreichen wir die richtigen Bevölkerungsgruppen – oder nur die, die sowieso zum Arzt gehen würden?“

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Hinzu kommt: Wissenschaftler weisen seit Längerem darauf hin, dass Nutzen und Risiken bei einigen Screenings zu dicht beieinander liegen – etwa durch die Strahlenbelastung bei den Röntgenuntersuchungen der Brust oder durch falsche Befunde, unnötige Operationen oder überflüssige Behandlungen.

Beispiel Brustkrebs: Was läuft hier schief?

Das eine ist: Das Screening läuft nicht so wie erwartet. Frauen zwischen 50 und 69 Jahren sollen sich alle zwei Jahre die Brust untersuchen lassen – doch allein in NRW nimmt nur jede Zweite daran teil. „Wir erreichen nur die Hälfte der Frauen, viele haben Angst vor der unpersönlichen Abfertigung in den Röntgenzentren“, sagt Rolf Englisch, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte in Westfalen-Lippe. Die langen Wartezeiten zwischen Erstbefund, Abklärung und Ergebnis seien sehr belastend für die Patientinnen.

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Das andere ist die grundsätzliche Frage: Wem hilft das Screening? Der Bielefelder Gynäkologe hält die Debatte über die Qualität des Mammografie-Screenings für überfällig. Englisch sieht besonders das Verhältnis von Kosten und Nutzen des Screenings kritisch. Die Kassen geben Millionenbeträge dafür aus.

Auch sein Kollege Thomas Bärtling vom Landesverband Nordrhein ist skeptisch: Viele seiner Berufskollegen seien von Anfang an gegen das Screening gewesen: Sie wollen lieber von Fall zu Fall entscheiden und ihre Patientinnen individuell zur Mammografie schicken. „Es wäre gut, das Screening möglichst bald wieder abzuschaffen“, so Bärtling im Gespräch mit unserer Mediengruppe.

Wie sieht es beim Hautkrebs aus?

Keine Röntgenstrahlen, keine aufwendigen Gewebeproben: Beim Hautkrebs-Screening ist das Untersuchungsrisiko deutlich geringer als beim Brustkrebs. Hinzu kommt: Zumindest für den bösartigen, den schwarzen Hautkrebs sei der Nutzen nachgewiesen: „Seit es Screenings gibt, gibt es auch einen deutlichen Rückgang der Sterblichkeit am malignen Melanom“, so Peter Pierchalla, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Dermatologen im Bezirk Nordrhein.

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Von Wolfgang Kintscher

Aktuell nutzt jeder dritte Deutsche über 35 Jahre die kostenlose Hautkrebs-Früherkennung. „Es wäre eine falsche Botschaft“, so der Recklinghäuser Hautarzt, wenn jetzt das Interesse am Hautkrebs-Screening sinken würde.“

Wie reagiert die Politik?

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) begrüßt die Debatte: Medizinische Angebote sollten immer, wenn es neue Erkenntnisse gebe, auf Vorteile, Nutzen, Risiken und Wirksamkeit überprüft werden. „Das gilt auch für Vorsorgeuntersuchungen.“ Sollten sie kein Plus an Sicherheit bieten, „müssen sie hinterfragt, verändert oder eingestellt werden“.

Auch CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn findet es richtig, „über die Sinnhaftigkeit einzelner Vorsorgeuntersuchungen“ zu streiten. Er wäre jedoch fatal, so Spahn, wenn die Ärzteschaft den Eindruck erweckte, alle Maßnahmen zur Früherkennung schadeten.

Sind alle Früherkennungsuntersuchungen fragwürdig?

Nein. Die Untersuchungen zur Früherkennung von Darmkrebs sind zum Beispiel sehr erfolgreich. Auch die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder (U1 bis U11) stehen nicht zur Diskussion.