Essen. Wie ein Radiologe und Ratsherr öffentlich durchleuchtet wird. Karlgeorg Krüger glaubt an eine „generalstabsmäßig angelegte Intrige“, ihn kurz vor der Kommunalwahl zu „erledigen“. Offen bleibt, welche fachlichen Mängel seinem Lizenzentzug zugrunde lag

Von anderen Menschen das Innerste sichtbar zu machen, das ist sein Beruf als Radiologe. Aber diesmal ist alles anders, diesmal ist es umgekehrt. Diesmal wird Karlgeorg Krüger durchleuchtet von oben bis unten: seine Qualität als Mediziner, sein Job als langjähriger Verantwortlicher eines Programms zur Brustkrebsvorsorge, sein vermeintlicher Hang, verhängnisvolle Fehler zu vertuschen, um ein lukratives Geschäft nicht zu verlieren: „Diagnose: Lebensgefahr“, so hatte es die Süddeutsche Zeitung geschrieben, sekundiert von WDR und NDR. Riskieren Frauen, die in Krügers radiologischer Praxis eine Mammographie der Brust machen lassen, ihr Leben, weil diesem die Kompetenz für korrekte Befunde abgeht?

Nur wenige Stunden geisterte das Bild des unverantwortlichen „Dr. K.“ durch die Medien, er musste sich sammeln nach dem ersten Schrecken, bundesweit als ärztliche Niete vorgeführt zu werden, einer, der andrerleuts Leben riskiert. Seit Donnerstag aber macht Dr. Karlgeorg Krüger offen, was sich ohnehin nicht geheimhalten lässt, wenn die Kameraleute vor der Praxis stehen und die herauskommenden Klientinnen abfangen: „Wissen Sie eigentlich schon, dass...?“

Strafanzeige durch missliebigen Kollegen

Dass was? Auch am Donnerstagabend blieb die Diagnose noch einigermaßen unklar, auch wenn sich die Schockstarre des Angegriffenen gelegt hat, auch wenn einige der massivsten Vorwürfe ausgeräumt scheinen: Eine ihm zugeschriebene Fehldiagnose stamme von zwei anderen Fachärzten, eine vermeintliche Fehlbehandlung sei nachweislich korrekt gewesen, so steht es in einer gestern Abend verbreiteten Erklärung Krügers.

Der gar nicht erst versucht, sich als unfehlbarer Gott in Weiß hinzustellen: „Natürlich können auch Fehler passieren“, sagt er im Gespräch mit der NRZ, das legten schon die Zahlen nahe: Knapp 60 Prozent der jährlich gut 30.000 vorbeugenden Brustuntersuchungen beim so genannten Mammografie-Screening verantwortet Krüger in seiner Praxis, etwa 300 Mal pro Jahr wird Krebs diagnostiziert, manchmal, das mag auch er nicht ausschließen, wird er übersehen.

Ein missliebiger Kollege, von denen es offenbar eine Reihe gibt, wollte es im vergangenen Jahr genauer wissen: Er erstattete bei der Essener Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Krüger wegen (fahrlässiger) Körperverletzung und legte zum vermeintlichen Beweis im Einvernehmen mit den betroffenen Frauen fünf Akten bei: Fälle ehemaliger Patientinnen, die zeigen sollten, dass unsachgemäß ausgeführte Gewebe-Entnahmen („Biopsien“) fälschlicherweise Sicherheit suggerierten, obwohl bei den Frauen später Krebs diagnostiziert wurde.

Lokalpolitiker aus Passion 

Doch einen Beweis dafür, dass eine später gesundheitliche Verschlechterung hätte verhindert werden können, fanden die Ermittler nicht. Nach Auskunft von Oberstaatsanwältin Anette Milk wurden die Ermittlungen gegen Dr. Krüger deshalb Ende Februar eingestellt.

Gut möglich allerdings, dass die Ermittlungen gegen Krüger wieder aufgenommen werden: Wenn die Duisburger Staatsanwaltschaft den Fall der in der Süddeutschen Zeitung zitierten Mülheimer Klientin aufgreift, die Dr. Karlgeorg Krüger schlampige Arbeit vorwirft.

Für Krüger selbst ist der Frontalangriff auf seine Person Teil einer groß angelegten Intrige, „die letzte Patrone“ im Halfter eines Ex-Kollegen, der ihn persönlich vernichten wolle.

Wäre das so, dann wäre der Zeitpunkt gut gewählt. Denn Krüger ist nicht nur Radiologe von Beruf, sondern Lokalpolitiker aus Passion. Ein Skandal würde den Ruf des 62-Jährigen weit über sein berufliches Wirken hinaus beschädigen. Vor 20 Jahren schon engagierte er sich als Vorsitzender der Wählervereinigung „Essener für Essen“. Blieb ihm damals der Erfolg wegen der Fünf-Prozent-Hürde versagt, gelang ihm vor einigen Jahren mit dem Essener Bürger Bündnis der Sprung ins Stadtparlament.

Verantwortung "aus formalen Gründen" entzogen

Dort macht er sein Wort in Fragen der Stadtentwicklung, diskutiert Asyl-Fragen und den maroden Haushalt – und sieht sich jetzt dem Vorwurf ausgesetzt, er hätte mal besser das Biopsieren geübt, statt Reden zu schwingen. Ex-Kollegen werfen ihm vor, hier fachliche Mängel zu haben.

Krüger widerspricht: Seit dem Ausschluss seines Radiologen-Kollegen aus der Gemeinschaftspraxis vor vier Jahren seien 1.240 Ultraschall-Biopsien, 617 Vakuumsaug-Biopsien und 98 Biopsien unter Röntgenkontrolle „fachgerecht durchgeführt“ worden. Es gibt Ärzte, die winken ab, wollen bei den zuständigen Gremien „massiv“ gegen Krügers Wirken Beschwerde geführt haben. Doch Karin Hamacher, Pressereferentin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrehin, muss passen: „Wenn wir an der ärztlichen Qualität von Herrn Dr. K. zweifeln würden, hätten wir das so nicht durchblicken lassen.“

„Das“, damit meint Hamacher den Hinweis in einer offiziellen Stellungnahme, Krüger sei der Posten als Programmverantwortlicher Arzt des Mammografie-Screenings im Jahre 2010 ausschließlich „aus formalen Gründen“ entzogen worden. Dieser formale Grund bestand im Rausschmiss eines damaligen Radiologen-Kollegen aus der Gemeinschaftspraxis.

"Generalstabsmäßig angelegte Intrige" 

Wenn man so will, eine bürokratische Hürde, die Krüger nicht daran hinderte, seinen Job weiterzumachen, weil er dagegen klagte. Erst im Herbst vergangenen Jahres wurde der Fall vom Sozialgericht in Düsseldorf entschieden – zu seinen Ungunsten.

Die Entscheidung fiel zusammen mit einer gescheiterten Erneuerung seiner Zertifizierung durch die Kooperationsgemeinschaft Mammografie. Doch worin genau die dort geltend gemachten Zweifel an der Qualifikation Krügers bestanden, vermag die Kassenärztliche Vereinigung nicht zu sagen.

Gut möglich, dass es um den fehlenden Nachweis Krügers für eine genügend große Anzahl von selbst erstellten Biopsien ging, deren Qualität andere Ärzte in Zweifel ziehen. Möglich aber auch, dass es wieder eher formale Gründe waren, etwa die zu spät weitergeleitete Dokumentation von Fällen an das Referenzzentrum Mammografie am Uniklinikum Münster. Das jedenfalls behauptet Krüger.

So oder so: Den Job als Programmverantwortlicher Arzt des Mammografie-Screening hat im Oktober ein Mülheimer Kollege übernommen, die Lizenz zum Durchleuchten aber blieb Krüger. Der vermutet (s)einen Ex-Kollegen hinter all dem Unbill, eine „generalstabsmäßig angelegte Intrige“, wie er sagt, in deren Zuge elf seiner Mitarbeiter abgeworben wurden. Mit dem Ziel, so glaubt Krüger, ihm am Ende auch die Screening-Lizenz streitig zu machen.

Polarisierende Aussagen von Patientinnen

Denn die Angst der Frauen vor Brustkrebs ist, man muss das so sagen, nicht zuförderst, aber eben auch ein lukratives Geschäft: Bei 20.000 untersuchten Frauen pro Jahr allein in Essen gilt ein Umsatz von zwei Millionen Euro als nicht abwegig.

Und es gibt offenbar Kollegen, die diesen Teil des Gesundheitsmarktes gerne an sich binden würden. Karin Hamacher von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bestätigt: Ja, „es bestanden Bestrebungen von anderer Seite, das Screening zu machen“.

Ob diese nun zum Erfolg führen? Die Beobachter sind hin- und hergerissen zwischen einer Frau aus Mülheim, die nach einem von Krügers Kollegen nicht entdeckten Tumor um ihr Leben fürchtet. Und einer anderen Patientin, die sich gestern per Mail meldete: „Dr. Krüger hat mein Leben gerettet. Hört sich pathetisch an, ist aber die Wahrheit.“

Nur zwei Fälle Krügers – von jährlich 20.000.