Düsseldorf. . Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Rumänien und Bulgarien hat sich seit 2011 verdoppelt - und ein Urteil des NRW-Landessozialgerichts könnte diese Entwicklung noch beschleunigen. Die Richter hatten entschieden, dass Einwanderer Hartz IV erhalten sollen - auch wenn sie nie in Deutschland gearbeitet haben.
Die NRW-Kommunen warnen vor einer verstärkten Einwanderung von Bulgaren und Rumänen in die Sozialsysteme. „Wir können die Armutseinwanderung nicht verkraften“, sagte der Hauptgeschäftsführer des NRW-Städte- und Gemeindebundes, Bernd Jürgen Schneider, unserer Mediengruppe.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hat sich Ende August die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Bulgarien und Rumänien mit bundesweit 38.800 Menschen gegenüber 2011 verdoppelt. Weil Migranten oft Wohnorte ihrer Verwandten ansteuern, sind Revierstädte wie Duisburg und Dortmund und Metropolregionen im Rheinland besonders belastet mit Sozialkosten.
Arbeitsminister hält Urteil für "nicht nachvollziehbar"
Anlass für die Befürchtungen ist ein neues Gerichtsurteil des NRW-Landessozialgerichts, wonach Arbeitslose aus Rumänien Anspruch auf Sozialleistungen haben, ohne jemals in Deutschland gearbeitet zu haben. Die Richter hatten einer rumänischen Familie Hartz-IV-Leistungen zugesprochen und eine anderslautende Vorschrift im Sozialgesetzbuch als Verstoß gegen das zwischen den EU-Ländern vereinbarte Gleichbehandlungsgebot gewertet.
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Die Familie aus Rumänien war 2009 zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen und hatte zunächst von Kindergeld und dem Verkauf einer Obdachlosenzeitung gelebt. Ein im November 2010 gestellter Hartz-IV-Antrag war abgelehnt worden. Für NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) ist das Urteil des Landessozialgerichts „nicht nachvollziehbar“. Der Minister erwartet, dass das Bundessozialgericht „hier Begradigungen vornehmen wird“.
Schneiders Sicht wird nun gestützt durch eine Eil-Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen. Demnach müssen Kommunen in einer Notlage nur die Rückreisekosten und bis dahin erforderliche Überbrückungsleistungen zahlen. Begründung: Der Gesetzgeber habe EU-Bürger bewusst von Leistungen ausgeschlossen, um einen Sozialtourismus zu verhindern, befand das Gericht in Celle (Az: L 15 AS 365/13 B ER).
Kommunen warnen vor falschen Anreizen
Nach geltendem Recht haben EU-Bürger, die nach Deutschland einwandern und Arbeit suchen, kein Recht auf Fürsorgeleistungen. Das Gericht in NRW hatte entschieden, dass dieses Ausschlusskriterium nicht mehr gilt, weil die Familie sich bereits ein Jahr in Deutschland aufhielt. In dem Bremer Fall hatte das Sozialgericht zunächst auch zugunsten der Kläger entschieden und gemeint, der Ausschluss von Leistungen verstoße gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot. Diese Ansicht teilte das Landessozialgericht nicht.
Sollte sich die NRW-Rechtssprechung durchsetzen fürchtet der Städte- und Gemeindebund „Anreize für den Sozialtourismus, die die Kommunen nicht verkraften können“. Hauptgeschäftsführer Schneider forderte eine politische „Lösung auf europäischer Ebene mit klaren Kriterien für die Einwanderung“. Der Chef des Ifo-Instituts, Werner Sinn, sieht Deutschland „am Beginn einer neuen Migrationswelle“.
Um das sinnvolle Grundrecht auf Freizügigkeit zu erhalten, müsse das „Heimatlandprinzip“ gelten. Danach kann jemand, der in seinem Heimatland steuerfinanzierte Sozialleistungen in Anspruch nimmt, keine Leistungen in einem anderen Land einfordern.
Ab 2014 kommt die Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen
Wenn 2014 die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen innerhalb der EU gilt, rechnen Experten mit einem weiteren, deutlichen Anstieg von Armutsmigranten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind heute zehn Prozent der Bulgaren und Rumänen in Deutschland auf Hartz IV angewiesen – die Quote der deutschen Gesamtbevölkerung beträgt 7,5 Prozent. Unter allen Ausländern liegt der Anteil der Hartz-IV-Empfänger allerdings mit 15 Prozent deutlich über der Quote der Bulgaren und Rumänen.
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Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, verlangte in der „Welt“ angesichts der wachsenden Armutsmigration „wirksame Maßnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger“. Sein NRW-Kollege Schneider forderte eine Steuerung der Einwanderung nach dem Vorbild Kanadas, wo Einwanderer eine Ausbildung und die Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts garantieren müssten.
Die Innen- und Justizminister der EU wollen in dieser Woche über die innereuropäische Armutsmigration beraten. NRW-Arbeitsminister Schneider erwartet Unterstützung von der Europäischen Union etwa bei der beruflichen Förderung der oft unqualifizierten Migranten.