Essen. Steht den mehreren Tausend Rumänen und Bulgaren, die zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen sind, Hartz-4-Geld zu? Die Justiz ringt um eine Antwort. Der Vizepräsident vom Landessozialgericht in Essen, Martin Löns, rechnet mit einer ersten Hauptverhandlung in einigen Monaten

Steht den mehreren Tausend Rumänen und Bulgaren, die zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen sind, Hartz-4-Geld zu? Die Justiz ringt um eine Antwort. „Es gibt die vorsichtige Tendenz, zumindest vorläufig Leistungen zu gewähren. Die Menschen müssen ja ihre Existenz sichern können“, sagte Martin Löns, Vizepräsident des in Essen ansässigen Landessozialgerichtes (LSG) am Freitag. Die Richter hatten im Jahr 2012 über „einige Dutzend“ Verfahren zu befinden. Deren Zahl nimmt aber offenbar zu.

Beschlüsse fielen bislang nur im Eilverfahren, eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Deutschlandweit tun sich die Gerichte schwer. In NRW deutet sich ein Umdenken bei den Juristen an. Im Jahr 2011 hatte das LSG in einem Urteil befunden, dass es rechtens sei, Rumänen und Bulgaren, die sich allein zur Arbeitssuche hier aufhalten, von Hartz IV auszuschließen (Az.: L 19 AS 388/11 B ER ). Sie beriefen sich dabei auf eine Klausel in der Sozialgesetzgebung. Diesem Urteil stehen aber EU-Verträge entgegen, die festlegen, dass Unionsbürger wegen ihrer Staatsangehörigkeit nicht schlechter behandelt werden dürfen, als die des jeweiligen Aufenthaltslandes. „Wir haben es mit einer sehr komplexen Rechtslage zu tun“, so Löns.

"Sehr hohe Belastung" am Landessozialgericht in Essen

Die Aktenberge werden nur ganz langsam kleiner. Im vergangenen Jahr hatten es die acht Sozialgerichte in NRW mit insgesamt neuen 84 502 Streitverfahren zu tun (-2,6% gegenüber 2011). Hartz IV beschert den Juristen weiter die meiste Arbeit, in jedem dritten Verfahren ging es um Grundsicherung für Arbeitslose. Am in Essen ansässigen Landessozialgericht (LSG), der Berufungsinstanz, ging die Zahl der Verfahren insgesamt sogar nochmal in die Höhe (+1,84%) auf 7263 „Die Belastung der Gerichte ist weiter sehr hoch“, sagte LSG-Präsidentin Dr. Ricarda Brandts am Freitag.

377 Verfahren hat jeder Sozialrichter im Schnitt in 2012 erledigt (Brandts: „eine enorme Leistung“). Ein Hauptstreitpunkt bei den Hartz IV-Verfahren war die Frage der von den Jobcentern zu erstattenden Heiz- und Unterkunftskosten. „Kaum eine Kommune bekommt hier ein schlüssiges Konzept hin“, bedauerte LSG-Vize Martin Löns. Im vergangenen Jahr hatten die Richter hier die Stadt Düsseldorf gerügt (L19AS174/11).

Verfahrensdauer angestiegen

Bei Hartz-IV-Streitfragen sind die Erfolgsaussichten für Kläger weiter sehr hoch (43%). Insgesamt stieg die durchschnittliche Verfahrensdauer an den Sozialgerichten von 12,4 auf 12,8 Monate an. LSG-Präsidentin Brandts führt das darauf zurück, das die Justiz es bei den Hartz-IV-Streitfällen zunehmend mit den „härteren Nüssen“ zu tun habe. Zu diesen komplexen Fällen zählen die Klagen der Migranten aus Südosteuropa. LSG-Vize Löns rechnet mit einer ersten Hauptverhandlung in einigen Monaten - aber auch die werde wohl keine endgültige Entscheidung bringen. Löns vermutet, dass am Bundessozialgericht in Kassel weiterverhandelt wird.