Seligenstadt. . Bundeskanzlerin Angela Merkel ist knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl in die heiße Wahlkampfphase gestartet. In Hessen und Rheinland-Pfalz absolvierte die CDU-Chefin am Mittwoch ihre ersten öffentlichen Auftritte. Bei einer ihrer Reden wurde sie von Jusos ausgebuht.
Es ist kein Zufall, dass die Einheizergruppe ausgerechnet "(I Can't Get No) Satisfaction" spielt, als Angela Merkel im hessischen Seligenstadt auf dem Marktplatz eintrifft. Schließlich strebt die CDU-Vorsitzende eine dritte Amtszeit an und muss den Wählern eine gute Begründung liefern, wieso sie ihr am 22. September erneut das Vertrauen geben sollten.
Und ihr Wahlkampfauftakt in dem idyllischen Örtchen an der hessisch-bayerischen Grenze ist ein Indiz, wie Merkel dies erreichen will - indem sie vor allem auf Kontinuität und Vertrauen setzt. Die vergangenen acht Jahre sollen die kommenden vier begründen. Der Kritik der Opposition hält Merkel deshalb auf der Veranstaltung ein ums andere Mal die starken wirtschaftlichen Zahlen entgegen. "Weiter so" soll die schärfste Waffe gegen die Forderung nach dem geforderten Politikwechsel sein.
Bundestagswahl 2013Das dekliniert sie bei Steuern, Schuldenabbau und Kita-Ausbau durch. "Was ist wichtiger, nur noch drei Millionen Arbeitslose oder kein Fleisch mehr essen?", stichelt Merkel in Richtung Grüne. Ansonsten geht sie in ihrer Rede auf die Opposition kaum ein. "Gehen Sie unsere Angebote durch", fordert sie die rund 1000 Zuhörer auf. "Dann werden Sie feststellen, wir machen Ihnen Angebote." Konkret wird Merkel selten. Die Wahlkampfstrategie setzt angesichts ihrer hohen persönlichen Zustimmungswerte darauf, dass man die Politik bei der Kanzlerin in guten Händen weiß. Wie in der EU will Merkel diesmal "Verträge" mit den Bürgern abschließen - auf Wechselseitigkeit. Es gibt Hilfe, aber die Bürger sollen selbst Leistung zeigen. Und dann sagt Merkel den Schlüsselsatz, der die Strategie zusammenfasst: "Wir wollen helfen, Ihre Träume wahr zu machen und Ihnen keine Vorschriften machen."
Zwar betont auch Merkel, dass es sich am 22. September um eine Richtungswahl handele. Aber die Attacken auf den politischen Gegner und Warnungen etwa vor Rot-Rot-Grün überlässt sie ihrem Vorredner, dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Teil der Kampagne ist schließlich auch, dass sich Merkel mit ihren hohen Zustimmungswerten als Kanzlerin aller Deutscher quasi oberhalb des Parteiengezänks präsentiert. Deshalb lobt sie auch in Seligenstadt wieder die parteiübergreifende Fluthilfe. Die Opposition schüre Neid, sie appelliert an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen: "Wir sind ein tolles Land."
Juso-Gruppe skandiert "Merkel raus"
Aber dass sich das gewünschte Wohlfühlgefühl im Wahlkampf vielleicht seltener einstellen wird als von ihr erhofft, bekommt Merkel schon in Seligenstadt zu spüren. Dieser Wahlkampf kann schmutziger und persönlicher werden als vorrangehende. Denn obwohl die großen demokratischen Parteien eigentlich die Tradition pflegen, zumindest nicht gegenseitig ihre Wahlveranstaltungen zu stören, trillert und schreit sich ein Trupp der südhessischen Jusos am Rande des Marktplatzes während Merkels Auftritt die Lunge aus dem Leib. "Heuchlerin", "Merkel raus", "Lügnerin", skandieren sie bis zum Schluss - die SPD wird persönlicher.
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In der Rede geht Merkel darauf kein einziges Mal ein und versucht trotz des akustischen Störfeuers ruhig zu reden. Aber gleich zu Beginn der Veranstaltung überquert die Kanzlerin einmal die ganze Bühne, um CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe auf den Trupp aufmerksam zu machen - dies könnte ein Nachspiel zwischen den Parteien haben. "Das ist die Zukunft der SPD", spottet sie dann kurz und erinnert daran, dass die Jusos in Berlin gerade die 150-Jahr-Feier der SPD am Brandenburger Tor boykottieren wollen - weil sie sich am Begriff "Deutschlandfest" stoßen.
Aber dann sucht und findet sie wieder den Weg zu ihrem demonstrativen Nicht-Konfrontationskurs zurück. Am Ende der Rede winkt Merkel noch einmal in die Menge. Dann geht es sofort weiter nach ins 70 Kilometer entfernte Ludwigshafen, zur nächsten Wahlkampfveranstaltung. Und die Kanzlerin hat einen ersten Vorgeschmack davon bekommen, wie rau der Marathon von 56 Auftritten bis zur Wahl quer durch Deutschland werden dürfte. "Es wird ganz, ganz eng werden", hatte sie schon am Dienstagabend in ihrem ersten Interview nach ihrem Urlaub betont. (rtr)