Berlin. . Rot-Rot-Grün, Große Koalition, „Ampel“? Schon jetzt spielt Parteichef Sigmar Gabriel die Koalitionschancen nach dem 22. September durch. Ein Parteikonvent soll klären, in welche Richtung die Verhandlungen mit den anderen Parteien gehen können. Damit will und kann Gabriel auch seine eigene Macht sichern.

Eigentlich begeht die SPD eine Todsünde im Wahlkampf: Sie redet nicht über den Sieg, sondern baut vor für den Tag danach. SPD-Chef Sigmar Gabriel lädt zu einem raschen Parteikonvent nach dem 22. September ein. Was will er damit erreichen? Ein Erklärungsversuch.

Rückblick: 2005 und 2009 hat ­jeweils eine kleine Clique bald nach der Wahl entschieden, wie sie die SPD aufstellt und Führungsposten verteilt. Das soll sich nicht wiederholen. Es gibt unter den Sozialdemokraten eine „Basis-statt-Basta“-Sehnsucht.

Vor zehn Tagen griffen Politiker diese Stimmung im SPD-Vorstand auf, damals auch verbunden mit der Idee, diesmal die Mit­glieder direkt einzubinden.

Alles außer Rot-Grün muss diskutiert werden

Sie würden selbstredend eine rot- ­grüne Regierung unter einem Kanzler Peer Steinbrück begrüßen. Klar wäre die Sache auch, wenn rein rechnerisch nur die Oppositionsrolle bliebe. Jede andere Richtungsentscheidung allerdings ist ohne breite Diskussion undenkbar: „Ampel“ mit Grünen und FDP, Rot-Rot-Grün mit der Linken, eine Große Koalition gar.

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück

Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt.
Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt. © dpa
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag © dpa
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er...
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er...
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde.
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde. © dpa
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders "Superminister" nach Berlin wechselte, war... © dpa
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW.
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW. © dpa
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück...
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück... © dpa
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß.
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß.
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident...
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident...
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II.
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II. © Getty Images
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball.
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball. © Bongarts/Getty Images
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass...
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass... © Getty Images
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg.
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg. © Getty Images
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass...
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass... © Getty Images
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert.
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert. © Getty Images
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf.
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf. © Getty Images
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November...
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November... © Getty Images
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt.
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt. © Getty Images
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel.
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel. © Getty Images
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion.
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion. © Bongarts/Getty Images
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). © Getty Images
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs.
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs. © Getty Images
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich.
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich. © Bongarts/Getty Images
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können.
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können. © Getty Images
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die...
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die... © Getty Images
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde...
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde...
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen.
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen. © Getty Images
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die "K-Frage" der SPD. Schnell kristallisierte sich heraus: Einer aus der "Troika" Steinbrück, Steinmeier und Gabriel sollte es machen. © Getty Images
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit.
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit. © Getty Images
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn...
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn... © Getty Images
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt.
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt. © Getty Images
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD.
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD. © Getty Images
1/32

Deswegen will Gabriel den Konvent abhalten, am liebsten gleich nach der Wahl. Wie Termine erwogen und wieder verworfen werden, daran erkennt man, dass intern viel auf dem Spiel steht. Es geht um Machtoptionen.

Steinmeier war nicht beteiligt

Sigmar Gabriel ist ein spontaner Typ. Aber in diesem Fall gibt es Hinweise, dass er sich den Plan gut überlegt und mit anderen besprochen hat. Dazu zählt etwa die ­Sprecherin des linken Flügels, ­Hilde Mattheis. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hingegen nicht.

Von einer Großen Koalition hält Mattheis wenig. Sie würde der SPD nicht guttun, glaubt sie. Es würde dazu führen, dass viele Mitglieder „sich weiter distanzieren würden“. Es sei die Option, „die in unserer Partei als die gilt, die man am wenigsten möchte“. Wenn man dem folgt, gibt es auf dem Konvent nicht mal den Auftrag, Son­dierungsgespräche mit Angela Merkels Union zu führen.

Auch interessant

Man müsste sich nach Alter­nativen umschauen. Rot-Rot-Grün wäre eine. „Die SPD braucht einen Riesenruck“, lockte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Der Konvent wäre mithin ein Vorspiel von Rot-Rot-Grün. Das ist die Lesart von Union und FDP. Ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht.

Was wird aus Steinbrück?

SPD und Grüne haben ein Zusammengehen mit der Linken oft abgelehnt. Es würde gerade die SPD zerreißen. Auf die Kanzlerwahl ­wäre man gespannt und übrigens auch auf die Reaktion von Bundespräsident Joachim Gauck, einem früheren DDR-Bürgerrechtler.

Zwei andere Erwägungen sind auch plausibel: Falls rechnerisch eine Mehrheit für die „Ampel“ möglich wäre, darf Steinbrück nicht aufgeben. Er muss so lange seinen Führungsanspruch behaupten, wie es eine Resthoffnung auf einen Kurswechsel der FDP gibt. Bisher lehnt sie die „Ampel“ ab.

Und auch eine Große Koalition ist möglich. Gerade weil sie in der SPD heftige Reaktionen auslöst, ist sie aber nur dann realistisch, wenn sich die Parteispitze einig ist und sich auf dem Konvent ein Mandat für die Zusammenarbeit mit der Union holt. Das wäre dann end­gültig nicht mehr die Aufgabe Steinbrücks; auch Steinmeier ist desillusioniert. Die Überzeugungsarbeit würde eher auf Gabriel ­lasten. Er hat die rhetorische Wucht und traut sich zu, Merkel in einer Neuauflage der Großen ­Koalition kleinzukriegen. Beim letzten Mal, 2005 bis 2009, war es genau andersherum. Das Bündnis führte zur Verzwergung der SPD.

Gegenkandidat für Gabriel?

Es kann also gut sein, dass Gabriel den linken Flügel ausnutzt, weil er insgeheim auf eine Große Koalition hinarbeitet. Die Fäden würden dann bei ihm zusammenlaufen. Zur eigenen Machtabsicherung ist der Konvent ohnedies interessant. Er wird einen Hinweis darauf geben, ob die SPD Gabriel weiter als Parteichef haben will. Falls jemand ihm die Aufgabe streitig machen will, muss derjenige auf dem Konvent aus der Deckung kommen.