Kairo. Wie ein Damoklesschwert hängt die Räumungsdrohung über den Islamisten-Camps in Kairo. Das ägyptische Innenministerium appelliert erneut: Geht nach Hause! Der Westen warnt vor neuem Blutvergießen. Derweil nennt der Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri den Mursi-Sturz in Ägypten “Verschwörung“.
In Ägypten ist kein Ende der Konfrontation in Sicht: Auf den Tag genau einen Monat nach dem Sturz des Präsidenten Mohammed Mursi riefen die Islamisten für Sonntag zu neuen Massenkundgebungen auf. Im Gegenzug appellierte das Innenministerium am Samstag erneut an die Mursi-Anhänger, ihre beiden Protestcamps in Kairo zu verlassen. Westliche Emissäre, unter ihnen US-Vizeaußenminister William Burns, sprachen sich bei ihren Treffen mit Vertretern der Übergangsregierung gegen die Anwendung von Gewalt aus.
Die Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Mursi kommt, rief "alle Ägypter" dazu auf, "ihre friedlichen Demonstrationen (...) fortzusetzen, bis die letzten Ziele erreicht sind". Seit der Absetzung Mursis am 3. Juli durch das Militär gehen die Anhänger des Islamisten regelmäßig auf die Straße, um seine Wiedereinsetzung ins höchste Staatsamt zu verlangen. Tausende Mursi-Anhänger harren darüber hinaus in zwei Protestcamps in Kairo aus, in denen sie so lange bleiben wollen, bis der Ex-Präsident wieder im Amt ist.
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Bei Zusammenstößen zwischen Islamisten, Sicherheitskräften und Zivilisten sind seit Mursis Sturz 200 Menschen getötet und Tausende weitere verletzt worden. Mitte der Woche hatte die ägyptische Übergangsregierung dem Innenministerium Grünes Licht gegeben, die beiden Protestcamps in Kairo mit Polizeigewalt zu räumen.
Das Innenministerium erneuerte am Samstag seinen Aufruf an die Anhänger der Muslimbrüder, die Protestlager umgehend zu verlassen. Wer nicht an gewaltsamen Aktionen beteiligt gewesen sei und nicht zum Terrorismus aufgerufen habe, müsse keine Strafverfolgung fürchten, hieß es in dem Appell. Die Organisatoren der Dauerproteste würden aber verschiedener Verbrechen, darunter Mord und illegaler Waffenbesitz, verdächtigt und müssten deshalb juristisch zu Verantwortung gezogen werden. Einen ähnlich lautenden Aufruf hatte das Ministerium am Donnerstag veröffentlicht.
USA und EU warnen Ägyptens Regierung vor gewaltsamem Vorgehen
Der Westen will die ägyptische Übergangsregierung von neuer Gewalt gegen die entmachteten Islamisten abhalten. Ägyptens Außenminister Nabil Fahmi betonte jedoch am Samstag während eines Treffens mit US-Vizeaußenminister Burns in Kairo, die Entscheidung liege letztlich alleine bei seiner Regierung, "die den Willen des ägyptischen Volkes umsetzt". Ähnlich habe sich Fahmi in einem Gespräch mit dem EU-Nahostgesandten Bernardino Leon geäußert, teilte ein Sprecher des Ministers mit.
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Unterdessen bemühte sich US-Außenminister John Kerry nach seiner Äußerung über die Entmachtung Mursis um Klarstellung. "Alle beteiligten Parteien sind dafür verantwortlich, gemeinsam auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten", sagte der Chefdiplomat laut einer Mitteilung vom Freitag. "Das letzte, was wir wollen, ist mehr Gewalt." Zuvor hatte Kerry in einem TV-Interview gesagt, die Armee sei beim Vorgehen gegen die Islamisten-Regierung von Millionen zum Eingreifen aufgefordert worden und habe "die Demokratie wiederhergestellt". Mit diesen deutlichen Worten hatte er bei den Islamisten Entsetzen ausgelöst. Dennoch traf US-Vizeaußenminister Burns am Samstag mit einer Delegation der Bruderschaft zusammen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International behauptet derweil, dass im Bereich der Pro-Mursi-Camps von den Islamisten festgehaltene politische Gegner gefoltert würden. Darauf deuteten mehrere Indizien hin, darunter Zeugenberichte von Überlebenden, berichtete die Organisation am Freitag. Demnach seien die Opfer dieser Missbräuche geschlagen, mit Elektroschockern gequält und mit Messern verletzt worden. In die Leichenschauhäuser Kairos seien insgesamt acht Tote aus der Umgebung der Camps gebracht worden, die Folterspuren aufwiesen.
Al-Kaida fordert Mursi-Anhänger zur Abkehr von Demokratie auf
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Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri kritisierte indes in einer ihm zugeschriebenen Audio-Botschaft den Sturz Mursis scharf. "Kreuzfahrer, Säkulare und die amerikanisierte (ägyptische) Armee haben sich verabredet (...), um mit dem Geld der Golfstaaten und amerikanischem Intrigenspiel die Regierung von Mohammed Mursi zu stürzen", hieß es in der Botschaft, die am späten Freitagabend in islamistischen Internet-Foren auftauchte.
Der Terrorchef, der aus Ägypten stammt und in Pakistan vermutet wird, bezeichnete den Sturz Mursis durch das ägyptische Militär als "besten Beweis für das Scheitern demokratischer Methoden bei der Schaffung einer islamischen Regierung". Hinter der Entmachtung Mursis stehe das "Bestreben der Kreuzritter, im Süden von Ägypten einen (christlich-)koptischen Staat zu errichten."
Die Echtheit der 14 Minuten langen Botschaft konnte zunächst nicht bestätigt werden. Tonfall und Diktion deuten aber darauf hin, dass sie vom ehemaligen Stellvertreter Osama bin Ladens stammt. Bin Laden war 2011 von den Amerikanern in Pakistan getötet worden. Al-Sawahiri folgte ihm an der Spitze des Terrornetzwerks Al-Kaida nach.
Die Proteste der Mursi-Anhänger am Freitag blieben weitgehend friedlich. Zu Zusammenstößen mit der Polizei kam es in der Nacht, als Islamisten versuchten, die Media Production City in einem Vorort von Kairo zu stürmen. 34 Islamisten und 2 Polizisten wurden nach Angaben ägyptischer Medien verletzt. 31 Mursi-Anhänger wurden festgenommen.