Kairo/New York. In Ägypten eskaliert die Gewalt. Dutzende Menschen sterben bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mursi und Sicherheitskräften. Das Militär will die Proteste der Islamisten offenbar beenden. Die Welt schaut besorgt auf das Land.
In Ägypten sind bei den schwersten Auseinandersetzungen mit Islamisten seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi mindestens 80 Menschen getötet worden. Die islamistische Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Mursi kommt, sprach von weit über 100 Toten in Kairo. Die Eskalation der Gewalt, bei der auch mindestens 800 Menschen verletzt wurden, löste im Ausland Befürchtungen vor einem Bürgerkrieg am Nil aus. Am Wochenende war ein Ultimatum des Militärs an die Islamisten abgelaufen, sich am sogenannten Versöhnungsprozess zu beteiligen.
Angeblich weit über 100 Tote und 4000 Verletzte
Nach den Zusammenstößen der Islamisten mit Sicherheitskräften am Samstag zählten die Islamisten nach eigenen Angaben weit über 100 Tote und 4000 Verletzte. Beide Seiten machten sich gegenseitig für das Blutvergießen verantwortlich. "Sie (die Polizisten) schießen nicht, um zu verwunden, sondern um zu töten", sagte Gehad al-Haddad, ein Sprecher der Muslimbrüder.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete, dass am Samstag viele der Opfer durch Schüsse auf Kopf oder Brust getötet worden seien. Dies sei auf Videos zu sehen und zudem von Augenzeugen bestätigt worden. Im Protest-Camp der Mursi-Anhänger in der Vorstadt Nasr City harrten auch am Sonntagvormittag noch Tausende aus.
Ban Ki Moon verurteilte das Blutvergießen
Zu den schlimmsten Zusammenstößen seit dem vom Militär verübten Staatsstreich am 3. Juli kam es, nachdem sich Demonstranten aus dem Protest-Camp auf den Weg gemacht hatten, um eine Stadtautobahn zu blockieren. Einheiten der Bereitschaftspolizei stellten sich ihnen in den Weg. Nach Augenzeugenberichten schossen die Sicherheitskräfte zunächst mit Tränengasgranaten, dann mit scharfer Munition auf die Islamisten. Ob unter den Demonstranten auch Bewaffnete waren, war nicht klar.
Innenminister Mohammed Ibrahim sagte auf einer Pressekonferenz in Kairo, dass 50 Polizisten verletzt wurden, zwei von ihnen schwer. "Es war ein Trick der Muslimbruderschaft, um einen Zwischenfall zu provozieren und Sympathien für sich zu gewinnen." Ibrahim stellte eine baldige Räumung der islamistischen Protestlager in Aussicht.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte das Blutvergießen und rief die Übergangsregierung auf, "den Schutz aller Ägypter sicherzustellen". Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte einen sofortigen Gewaltverzicht. US-Außenminister John Kerry brachte in einem Telefonat mit Übergangsvizepräsident Mohammed ElBaradei die "tiefe Besorgnis" der USA zum Ausdruck. Der CDU-Außenpolitiker warnte in einem Interview der "Passauer Neuen Presse" davor, dass sich die Gewalt zu einem Bürgerkrieg ausweiten könne.
US-Außenminister Kerry sprach von einem entscheidenden Zeitpunkt für Ägypten mehr als zwei Jahre nach Beginn der Revolution gegen den Machthaber Husni Mubarak. "In diesem extrem unberechenbaren Umfeld haben die ägyptischen Stellen eine moralische und rechtliche Verpflichtung, das Recht auf friedliche Versammlung und Meinungsfreiheit zu respektieren", mahnte Kerry. In einem Telefongespräch forderte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel seinen ägyptischen Kollegen, Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, auf, "weiteres Blutvergießen und den Verlust von Leben zu verhindern".
UN-Chef Ban forderte die ägyptischen Sicherheitskräfte auf, die Menschenrechte zu achten. An die Demonstranten appellierte er, Zurückhaltung zu üben und die friedliche Natur ihres Protests beizubehalten. Auch der britische Außenminister William Hague verurteilte die Gewaltanwendung gegen Demonstranten in Ägypten. Der schwedische Außenminister Carl Bildt schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: "Ich bin schockiert von der hohen Zahl an Toten (...). Die Sicherheitskräfte können sich der Verantwortung nicht entziehen." (dpa)