Dawson Creek. NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft will auf ihrer Studienreise von den Kanadiern alles wissen über das Fracking. Sie besichtigt eine Bohrstation, spricht mit den bulligen Arbeitern und benachbarten Farmern. Jetzt weiß sie Bescheid. Und fragt: Geht das bei uns auch? Es bleiben Zweifel.
Schon in dem 16.000-Seelen-Kaff Dawson Creek am östlichen Rand der Rocky Mountains liegt der Hund begraben. Aber von hier aus geht es noch einmal eine gute Dreiviertelstunde über erschreckend schnurgerade Straßen weiter Richtung Einöde, dann biegt der Rumpelbus in den Wald ein. Noch einmal zehn Minuten über schlammige, ungeteerte Straßen. Und dann steht Hannelore Kraft in einem kanadaroten, gelbgestreiften, Besucher-, nun ja: -Sack, der immerhin feuerfest ist, auf einem von Birken eingerahmten 200 mal 200 Meter großen Feld mitten im Krach. Ach was, Krach. Es fühlt sich an wie Kaffeepause neben einem schlagenden Presslufthammer.
Eine Handvoll Trucks steht hier, richtige Laster, gegen die auf den Autobahnen im Revier mitleiderregend unterentwickelt und untermotorisiert aussehen. Ockergelbe Silos, schmucklose weiße Container mit Betten drin oder Computern. Elefantenbeinstarke grüne und blaue Schläuche winden sich über den schmutzigen Bretterboden. Sandhaufen, per Bahn eigens angekarrt aus Dakota, weil bei dem jedes Korn wirklich gleich groß ist.
Tausende Meter durchs widerspenstige Gestein
Willkommen in Gordendale. Hier findet er statt, der neue Goldrausch. Nur, dass diesmal niemand nach Edelmetall buddelt, sondern sich ein endlos langer Bohrer ein paar tausend Meter durchs widerspenstige Gestein frisst, erst von oben nach unten, dann, dort unten angekommen, von links nach rechts und von rechts nach links, um jenen Stoff frei zu sprengen, auf den die rohstoffgeilen Industrienationen mittlerweile weitaus schärfer sind als auf das gelbe Metall: Schiefergas.
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Stellen Sie sich doch einmal im Bad vor den Spiegel und sagen Sie laut: Fracking. Wie aggressiv das klingt. Bei Ä geht der Mund in die Breite, Ihre Zähne werden sichtbar, und dann nach dem rollenden R noch ein hartes K – nein Fracking ist kein Kuschelwort und der Vorgang, den es beschreibt, hat mit Romantik eben so wenig zu tun. Beim Fracking geht es richtig zur Sache.
Hannelore Kraft fragt großen Männern Löcher in die Bäuche
Ein Job für harte Männer. Solche wie John und Jim und Barry, die in ihren blauen Overalls und den enganliegenden Oakley-Brillen und der sonnengesunden Gesichtsfarbe aussehen wie eine Mischung aus Highway-Patrol und Rugbyspieler. Nur freundlicher sind sie, wie man in Kanada eben grundsätzlich entspannter als in Deutschland miteinander umgeht. Die gegen diese Kanten von Männern vergleichsweise kleine Ministerpräsidentin fragt den Kerlen zäh Löcher in die Bäuche. Etwa, ob sie denn auch im eigenen Garten „fracken“ würden. „Ja“, rufen wirklich ausnahmslos alle und lachen.
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Entweder, die Firma Encana, die das hier macht, hat allen ihren Arbeitern einen Kurzlehrgang in Propaganda spendiert, oder sie glauben tatsächlich mehr oder weniger begeistert an das, was sie hier tun. Kraft, skeptisch wie sie nun mal ist, hat am Ende jedenfalls keinen Zweifel, eben so wenig wie der Journalistentross, der mit hier rausgefahren ist. Nein, die spielen hier nicht, die meinen es ernst und finden es richtig: für sich, für Kanada, den Rest der Welt. Was, zugegeben, sicher leichter fällt wenn man weiß, dass jeder von diesen Männern hier zwar zwei Wochen am Stück zwölf Stunden durcharbeitet, danach aber auch zehn Tage frei hat und dafür mindestens mal 70.000 Euro mit nach Hause trägt. Der eine oder andere bringt es sogar auf 200.000.
Der Bohrer heißt „Derrick“
Fracking geht so: Erst kommt der Bohrer. Er heißt „Derrick“ und macht Löcher. Bis zu 200 auf so einem Feld. Dann haut Derrick wieder ab und die Krachmacher mit den Trucks und dem restlichen schweren Gerät tauchen auf und bauen die Anlage auf. Jeden Tag rauschen 200 dieser Monster-Laster mit schweren Ketten über den Antriebsrädern heran und liefern Sand und Chemikalien und was man sonst so braucht.
Dann kommen die Bagger. Sie reißen entlang der Straßen durch den Wald die Kiefern und Fichten und kleineres Gesträuch raus und legen dann die Pipelines in die Erde. Und dann ist es so weit. Nun geht es los. Jetzt fließt das Gas und fließt das Geld. Sehr viel Geld. Nach Abzug der Kosten rund 10 Millionen Dollar pro Loch, in einem Zeitraum von 25 bis 30 Jahren. So viel kann Oma Erna nicht stricken.
Was Farmer Dan Vanderfelde vom Fracking auf seinem Land hält
Dan Vanderfelde ist jetzt 68, seine jüngste Enkelin Aspen ist ein Jahr alt. Dan ist Farmer und die Familie bewirtschaftet ihr Land seit 1904. „Nein“, sagt er, „wir sind hier nicht gegen Fracking“. Dan weiß schließlich, woher hier der Wohlstand und die Jobs in den letzten Jahren gekommen sind, aus seiner geliebten Erde nämlich. Aber: „Wir wollen nur, dass die das alles sicher machen. Das sollen die uns garantieren.“ Die erwachsene Aspen soll hier auch mal so ein schönes, natürliches Leben verbringen können wie er.
Kellen Foreman ist jetzt 29 Jahre alt, sieht gut aus, rechnet schnell, redet schlau und arbeitet seit nunmehr elf Jahren bei Encana. Die Sorgen der Farmer interpretiert er so: „Die sind sauer, dass auf ihrem Land gebohrt wird, sie aber keine Schecks bekommen.“ Tatsächlich gehört das Land den Farmern nur an der Oberfläche, auf 2000 oder 3000 Metern Tiefe hat die kanadische Regierung das Sagen. Und die hat den Förderkonzernen die Fracking-Lizenzen verkauft. Unter diesen Umständen wäre man selbst ja auch nicht gerne so ein gefrackter Farmer.
200 Laster täglich - am Niederrhein oder Westfalen?
In Hannelore Kraft läuft jetzt ein Spielfilm ab. Sie stellt sich vor, diese täglich 200 Laster würden, mit Sand und Chemie und was sonst noch beladen, durchs idyllische Münsterland rollen. Oder durch Südwestfalen. Oder den Niederrhein entlang. Ökologische Tabuzonen für so was. Und dann würden diese doch sehr großen Maschinen anfangen, diesen Höllenlärm zu veranstalten. 24 Stunden am Tag. Und „Derrick“ käme. Und die Bagger, die die Bäume wegmachten. Anketten würden sich da die Umweltleute. Dann legt die skeptische Frau Kraft bedenklich den Kopf schräg. Nein, das kann sie sich nicht vorstellen, nicht, weil sie gegen das Fracking an sich wäre.
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Aber Deutschland ist nicht Kanada. Hier leben auf einen Quadratkilometer zehn Menschen. In Deutschland sind es fünfhundert. Und die kanadischen zehn finden es auch erst mal gut, wenn Unternehmen bei ihnen Geschäfte machen, was man von den deutschen 500 so sicher nicht behaupten kann. Und, ja: Es gibt die Bergbaugewerkschaft, die dafür ist, so wie auch der Initiativkreis Ruhrgebiet und der Bundesverband der Deutschen Industrie. Aber es gibt auch solche Dinge wie den Evangelischen Kirchentag, auf dem Kraft schon Mühe genug hat zu erklären, dass sie jetzt mal nicht nach Kanada fährt, um sich von kapitalistischen Fracking-Firmen Hochglanz-Broschüren abzuholen, um dann selbst in eine ungebremste Fracking-Euphorie auszubrechen.
Das Ruhrgebiet hat schon Erfahrungen mit Eingriffen in Mutter Erde
Das hat sie den kanadischen Kerlen auch alles wunderbar erklärt. Hat ihnen von den Erfahrungen der Ruhrgebietsmenschen mit Eingriffen in Mutter Erde berichtet. Von den Stollen und dem Abpumpen von Wasser auf Ewig. Und davon, dass für den Braunkohletagebau sogar ganze Dörfer umgesiedelt wurden. Und auch, dass man japanische Atomkraftwerke auch immer für sicher gehalten habe. Das alles hätten die Menschen erlebt an Rhein und Ruhr. Weshalb man dann doch verstehen müsse, warum sie nun nicht gleich losrennen und dafür demonstrieren, dass jetzt doch endlich bitte der nächste große Eingriff in ihre Natur stattfinden möge. Zu ihrem eigenen Wohle, zum Wohle des Ruhrgebiets. Zum Wohle der Menschheit.
Die harten Jungs mit den schnellen Brillen und der Sonnenhaut und dem vielen selbst verdienten Geld haben auch aufmerksam der Frau „from Northrhine-Westfalia“ zugehört. Und dann haben sie sehr freundlich gesagt: „Very interesting.“