Essen. Wir Deutschen neigen zu Rigorismus - gerade bei der Ablehnung neuer Technologien. Auch beim Fracking. Das aber könnte sich als fatal erweisen, denn preiswerte Energie ist die Basis jeder Industriegesellschaft. Bei aller Skepsis solllten wir zumindest überprüfen, wie wir die neuen Wege der Gasförderung in Deutschland sinnvoll umsetzen können.

Wir Deutschen sind gerne grundsätzlich unterwegs, nach dem Motto: Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu betreiben. Deshalb neigen wir zur schnellen Festlegung, von der wir uns dann durch nichts und niemanden mehr abbringen lassen. Schon wegen des dann drohenden Gesichtsverlusts.

Die Welt besteht aber nicht nur aus Schwarz und Weiß. Tatsächlich überwiegen die Grautöne. Das gilt erst recht für die ganz großen Themen. Fracking ist so ein großes Thema.

In bequeme Technikfeindlichkeit zu verfallen, wäre falsch

Für eine Industriegesellschaft ist günstige Energie ein Wert an sich. In der globalisierten Welt entscheidet der Energiepreis über die Zukunftschancen ganzer Branchen und ihrer Arbeitsplätze. Deshalb sollten wir nicht in die alte, bequeme Technikfeindlichkeit verfallen und aus Furcht grundsätzlich Nein sagen. In Kanada lässt sich studieren, dass die Fracking-Technik beherrschbar und nutzbringend eingesetzt werden kann.

WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz warnt vor einer allzu pauschalen Ablehnung des Fracking.
WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz warnt vor einer allzu pauschalen Ablehnung des Fracking.

Eine große Bevölkerungsmehrheit dort trägt das umstrittene Verfahren mit. Selbst Farmer, unter deren Grund und Boden gefrackt wird, sind nicht grundsätzlich dagegen, beharren nur auf mehr Transparenz und Beteiligung. Das ist nachvollziehbar. Aber in Deutschland ist vieles einfach anders. Amerikaner und Kanadier probieren ein neues Verfahren erst einmal aus und verbessern es dann Zug um Zug. In Deutschland versuchen wir unter der Überschrift „Technikfolgenabschätzung“, alle Risiken theoretisch auszuschließen, bevor wir praktisch starten. Außerdem ist Deutschland ungleich dichter besiedelt als Kanada und die Umweltgesetzgebung viel strenger als dort.

Wir sollten uns eine Testphase fürs Fracking gönnen

Wir wissen noch nicht, wie viel uns das Fracking wirtschaftlich bringen kann. Wir wissen nicht, unter welchen Bedingungen es überhaupt bei uns funktionieren kann; das ist in jedem Land, sogar in jedem Fördergebiet unterschiedlich. Und wir wissen auch noch nicht, ob unser rigider Weg, ausschließlich auf erneuerbare Energien zu setzen, am Ende der verantwortbare ist.

Was folgt aus alledem? Wir sollten uns einen Test gönnen, um herauszufinden, ob in Deutschland verantwortungsvoll und nutzbringend gefrackt werden kann. Wenn ein Thema keine ideologische Voreingenommenheit verträgt, dann dieses. In das Jahrhundertprojekt einer Energiewende sind wir überhastet hinein gestolpert. Das sollte uns kein zweites Mal passieren.