München. Kurz vor Beginn des NSU-Prozesses haben die Opfer der rechten Terrorzelle “maximale Aufklärung“ durch die Justiz gefordert. Anwälte der Nebenkläger äußerten die Hoffnung, dass am Ende nicht nur eine Verurteilung der Angeklagten stehe, “sondern auch eine klare Benennung von Mitverantwortlichen“.

Mehrere Anwälte von NSU-Opfern haben am Sonntag in München ihre Erwartungen an den am Montag beginnenden Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte deutlich gemacht. Es gehe nicht um eine schnelle Verurteilung, sagte Rechtsanwalt Stephan Lucas. Seinen Mandanten gehe es vor allem auch um Aufklärung. Der Anwalt vertritt die Kinder des ersten NSU-Todesopfers Envar Simsek, Kerim und Semiya.

Die Rechtsanwälte Angelika Lex, Reinhard Schön, Stephan Lucas und Sebastian Scharmer erklärten, dass sie alle rechtlichen Möglichkeiten in dem Prozess nutzen werden, damit das Gericht auch untersucht, warum die zehn Morde und 15 Banküberfälle einer rechtsextremistischen Gruppierung von den Behörden nicht aufgeklärt wurden. Sie wiesen Erklärungen zurück, dass dies nicht Aufgabe des Gerichts sei.

"Antragsgewitter" zum Prozessauftakt erwartet

Aus Sicht der Anwälte und ihrer Mandanten sollten unter anderem Fragen wie die nach lokalen Helfern für die NSU, die Auswahl der Opfer oder Tatorte in dem Verfahren mit geklärt werden. In dem Prozess müsse aber auch die Frage nach der Verantwortung von Behörden eine Rolle spielen, so die Anwälte: „Was ist der Anteil der Ermittlungsbehörden und Nachrichtendienste an der Entstehung und am weiteren Bestand des NSU gewesen? Gab es Zahlungen an V-Leute, die wiederum zur Finanzierung des NSU genutzt wurden?“, lauten aus Sicht der Anwälte weitere wichtige Fragen für das Verfahren.

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Es werde sicherlich die eine oder andere Auseinandersetzung in dieser Frage mit dem Gericht geben, war sich Sebastian Scharmer sicher. Für den Prozessauftakt am Montag erwartet er aber erst einmal ein "Antragsgewitter" der Verteidigung. Unter anderem erwarten die Nebenklageanwälte Anträge zur Videoübertragung des Verfahrens in einen weiteren Gerichtssaal. Das alles sein ein ganz normaler Vorgang. Ob bereits am Montag die Anklage gegen Beate Zschäpe und die vier weiteren Angeklagte verlesen wird, ist aus Sicht der Verteidiger nicht sicher.

Opferanwälte in Diskussion um Videoübertragung uneinig

Unterschiedliche Positionen äußerten die Anwälte zur strittigen Frage einer Videoübertragung. Reinhard Schön sieht sie eher skeptisch und befürchtet einen Revisionsgrund, sollte das Verfahren per Video in einen weiteren Gerichtssaal übertragen werden. Angelika Lex kritisierte vor allem die Politik, die es versäumt habe, klare rechtliche Regelungen in dieser Frage zu schaffen. Stephan Lucas sprach sich für eine Videoübertragung aus. Die Öffentlichkeit umfassend zu informieren sei wichtiger als vielleicht eine Revision und ein erneutes Verfahren zu riskieren, sagte er.

Der rechte Terror der NSUDeutliche Kritik an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe, drei der fünf Angeklagten wieder aus der Untersuchungshaft zu entlassen, übte Reinhard Schön. Der eine oder andere BGH-Richter sei noch immer "auf dem rechten Auge blind", erklärte der Anwalt. Im Vergleich zu den Verfahren gegen Mitglieder der Rote Armeefraktion werde mit unterschiedlichem Maß gemessen, fügte er an. Mehrere der Angeklagten werde Beihilfe zum Mord vorgeworfen und sie seien auf "freiem Fuß". In Untersuchungshaft sitzen derzeit nur Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben.

Die Nebenklageanwälte kündigten an, sich auch während des Prozesses an die Öffentlichkeit wenden zu wollen, um über den Verlauf des Verfahrens zu informieren.