Essen. Hessens Behörden haben einen Verdacht: Im Strafvollzug könnten neonazistische Strukturen aufgebaut werden. Auch die Länderjustizminister befassen sich damit. Bestes Beispiel ist der Dortmunder Sven K.. Er sei, so eine Expertin, im Gefängnis zu einem „Helden der rechten Szene“ gemacht worden.
Rechtsextreme haben einen Hang zur Symbolik. Die Zahl 88 steht für „Heil Hitler“. Gerne kommunizieren die Kameraden auch unter dem Datum des 20. April, „Führers Geburtstag“. Das kann verräterisch sein, denn Verfassungsschützer kennen die Vorlieben. Als in der Zeitschrift „Biker’s News“ vom Oktober 2012 eine Kleinanzeige erschien, die für eine am 20.04.2012 gegründete Gefangenenhilfsorganisation warb, war Hessens Regierung alarmiert.
Ein Kontaktversuch zu Zschäpe
Recherchen ergaben: Von der hessischen Justizvollzugsanstalt Hünfeld aus wird an einem Netz gestrickt, das inhaftierten Neonazis hilft – mit Ideologie wie mit Geld. Die Initiatoren haben sogar versucht, mit der einsitzenden NSU-Tatverdächtigen Beate Zschäpe Kontakt aufzunehmen. Der Verdacht: So sollen neue staatsfeindliche Strukturen aufgebaut werden.
Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat am Dienstagabend das Thema der „Vernetzung von rechtsextremen Gefangenen“ auf die Tagesordnung der Justizministerkonferenz im Juni gesetzt. Nach den Pleiten bei der Aufklärung der NSU-Morde reagiert die Politik empfindlich, wenn Hinweise auf solche Strukturen bekannt werden. Dabei ist offen, wie weit sie wirklich reichen.
Das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen versichert: „Wir haben keine Erkenntnisse über verfestigte Netze.“ Ein in der Kleinanzeige aufgeführter Hinweis auf die Justizvollzugsanstalt in Gelsenkirchen habe ins Leere geführt. Auch bayerische Behörden haben ihren Kollegen in Hessen gestern zunächst Fehlanzeige signalisiert.
Aussteigerprogramme in den Gefängnissen
Natürlich könne man rechte Tendenzen hinter Gefängnisgittern auch nie ausschließen, ergänzt NRW-Justizsprecher Peter Marchlewski. So sind, andererseits, Inhaftierte ein dankbares Publikum für Aussteigerprogramme: An Rhein und Ruhr sind seit 2001 220 Häftlinge, die der rechten Szene zugeordnet wurden, aus deren Fängen „herausgelöst“ worden. Marchlewski: „Die meisten sind nie wieder dorthin zurückgekehrt.“
Über das Internet versuchen rechtsextremistische Hilfsorganisationen offen, inhaftierte „Kameraden“ in den von ihnen als „Kerker“ bezeichneten Justizvollzugsanstalten zu kontaktieren. Sie werben für Geld- und Kleidungsspenden und geben auch Hinweise, wie Unterstützer Verbindungen in die Anstalten aufnehmen und halten können. Bekannt sind solche Hilfestellungen von Rechtsextremen, die der verbotenen „Blood and Honour“-Truppe angehört haben.
Seit dem Verbot der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ HNG Ende September letzten Jahres durch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fällt ein Verdacht auf die „Gefangenenhilfe“ (GH). Sie soll Nachfolgeorganisation der HNG zu sein. Sie beteuert zwar: „Wir möchten nicht die HNG oder andere Projekte fortführen.“ Auch: „Uns liegt das Wohl der Gefangenen bzw. ihrer Familien am Herzen.“ Aber im Wust der Wortbeiträge tauchen dann die Bemerkungen auf, dass es „jeden von uns“ treffen könne.
Nicht mit „Heil Dir“ zeichnen
Die Liste der Häftlinge, die laut Gefangenenhilfe unterstützt werden sollen, ist prominent besetzt. 50 Namen sind aufgeführt, jeweils mit dem Ort ihrer Inhaftierung. Zwölf sitzen in Nordrhein-Westfalen ein – meist in Geldern, Werl, Bochum.
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Auf Platz 18 steht der ehemalige Anwalt Horst Mahler, der in seiner extremistischen Karriere einen langen Weg von der linksterroristischen RAF bis zur NPD und noch weiter zurückgelegt hat. Vor allem aber Ralf Wohlleben. Der Mann ist der Unterstützung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) angeklagt. Er soll nach Überzeugung des Generalbundesanwalts die Mordwaffe Ceska 83 besorgt haben, mit der die meisten der zehn Opfer des NSU hingerichtet wurden. Er muss sich ab dem 17. April vor dem Oberlandesgericht München verantworten.
Bundesinnenminister prüft Verbot der rechten Gefangenenhilfe
Die Gefangenenhilfe gibt gerne Tipps für die Kommunikation mit den Häftlingen. „Es dürfen von dir keine vertraulichen Daten im Brief erwähnt werden. Es kann sein, dass dein Brief sofort an die örtliche Staatsanwaltschaft weitergegeben wird, sofern du etwas ‚Verfassungsfeindliches’ schreibst.“ Oder: „Du solltest vorerst auf Grußformeln wie ‚Heil Dir’, ‚88’ usw. verzichten.“ 88 – der Hitler-Code.
Nicht nur die Justizminister werden im Juni über die Vorgänge reden. Nach Berichten des Informationsdienstes „Endstation rechts“ prüft der Bundesinnenminister nach dem Verbot der HNG und seiner rechtlichen Absicherung weitere Schritte dieser Art gegen Gefangenenhilfsorganisationen.
Sven K. wurde im Knast zum „Helden der rechten Szene“
Am 28. März 2005 starb in Dortmund der Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz. Er wurde durch Sven K. umgebracht, einem bekennenden Neonazi. 2010 wurde K. aus der Haft entlassen, weil er eine angeblich günstige Sozialprognose aufwies. Begründung: Er werde durch ein soziales Umfeld aufgefangen.
Heike Kleffner, Expertin für Rechtsextremismus, glaubt, dass Sven K. nach der Tat im Gefängnis zu einem „Helden der rechten Szene“ gemacht worden ist. Der Knast habe ihn „gestärkt“, sagt sie. Man müsse deshalb das Umfeld jeweils genau unter die Lupe nehmen, in das hinein solche Täter entlassen werden, sagt Kleffner.
Nach einer Kneipenschlägerei und einem Überfall auf zwei türkischstämmige Jugendliche auf dem Weihnachtsmarkt befindet sich Sven K. wieder in Haft.