Essen. Kommende Woche beginnt der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe. Ihre Verteidiger sagen, Zschäpe habe erst im Nachhinein von den Morden erfahren. Der Generalbundesanwalt Harald Range hält sie für eine Mörderin. Zschäpe habe alles gewusst. Die Verhandlung wird zum Kräftemessen: Range gegen Zschäpe.
Bei manchen neuen Jobs fehlt jede Zeit für eine Einarbeitung. Harald Range, der freundliche Herr mit dem Bärtchen und dem schlohweißen Haar, hat so einen Kaltstart hinter sich. Der Generalbundesanwalt musste 2011 das Amt des obersten Anklägers der Republik übernehmen – zwei Wochen, nachdem die über elf Jahre unaufgeklärt gebliebene Serie von Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) aufgeflogen war.
Es waren kaltblütige Morde von abgetauchten Neonazi-Tätern an acht Türken, einem Griechen und einer deutschen Polizistin, zwei Bombenattentate mit vielen Verletzten und 15 Banküberfälle. Vorgänge, die Vergleiche mit den Terrortaten der linken RAF in den 70er-Jahren zulassen.
Nach Auswertung von 300.000 Seiten Ermittlungsakten steht der 64-jährige Jurist jetzt vor der ganz großen Herausforderung: Ab dem 17. April verlesen seine Mitarbeiter vor dem Münchener Oberlandesgericht die Anklage gegen Beate Zschäpe und vier weitere Beschuldigte, den mutmaßlichen Unterstützern der „Zwickauer Zelle“.
Zschäpe wird in 27 Anklagepunkten beschuldigt
Mit der Wucht von 27 Anklagepunkten auf 488 Seiten wird die 38-Jährige der Mittäterschaft an den Morden und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigt. Das Gericht will 606 Zeugen anhören. Der Prozess ist auf weit mehr als ein Jahr angelegt. Die Verhandlung im Saal 101 des Justizzentrums wird zum großen Kräftemessen: Range gegen Zschäpe. Denn die eigentlichen Mordschützen, Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, haben sich selbst getötet, als die Polizei am 4. November 2011 ihren Wohnwagen im thüringischen Eisenach stürmen wollte.
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Zschäpe war aber nicht nur 14 Jahre mit den beiden Rechtsextremisten in der Illegalität zusammen. Die drei hatten nicht nur „ein auf Dauer agierendes, einheitliches Tötungskommando gebildet, das seine Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte“, wie die Bundesanwälte glauben. Sie halten die junge Frau auch für eine Mörderin. „Sie hat alle Morde und Überfälle mitgetragen“, sagt der Generalbundesanwalt.
Die Anklage nennt mögliche Verstrickungen Zschäpes
Wird Richter Manfred Götzl (60), der schon den Mörder des Modezars Mooshammer aburteilte, der Anklage folgen? Range setzt alles auf eine Karte: „Zwei Menschen haben getötet, der dritte hat Schmiere gestanden.“ Mehr noch: Detailliert nennt die Anklage mögliche Verstrickungen Zschäpes.
Fingerabdrücke fand man auf den „Ausspähnotizen“ der Tatorte, die unter 6800 Asservaten im Brandschutt des Wohnhauses des Trios im November 2011 lagen. Aus einer Telefonzelle in Zwickau habe sie auf das Handy von Böhnhardt und Mundlos telefoniert, als die sich gerade auf einen Mord in München vorbereiteten. Und für einen „weiteren versuchten Mord an einer Nachbarin und zwei Handwerkern“ trage sie Verantwortung – weil sie die konspirative Wohnung in Brand gesteckt und so Unbeteiligte gefährdet habe.
Auf Seite 242 der Anklage – ein Höhepunkt – ist schließlich beschrieben, wie Zschäpe am 9. Juni 2005 selbst nahe am Tatort in Nürnberg war, als die Männer Ismael Yasar mit Treffer in Kopf und Oberkörper töteten. Ein Zeuge hat sie an einer Edeka-Kasse gesehen.
Generalbundesanwalt hat neun weitere im Visier
Range will widerlegen, was Zschäpes Verteidiger erklären wollen: Dass ihre Mandantin zwar mit den beiden zusammen im Untergrund war und sie dort umsorgte, dass sie aber erst im Nachhinein von den Morden erfuhr. Aus der Sicht der Anklage kann diese Behauptung auch Schwachstelle sein. Muss sich Zschäpe dazu nicht erklären? Genau das tut sie nicht. Sie schweigt. Sie wird auch vor Gericht nicht aussagen, glaubt Range.
Die Ermittlungen haben unter enormem Zeitdruck gestanden. Der Bundesgerichtshof hat die Ermittler sogar in einem Beschluss zur Eile getrieben. Kann so die Mordserie wirklich geklärt werden? Die Anklage ist sicher: Ja. Die „Zwickauer Zelle“ habe alleine gemordet. Es gebe keine Belege für weitere Taten. Es gebe keine Hinweise für Verbindungen zur NPD. Und der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn habe den Hintergrund, dass die drei den Staat bloßstellen wollten. Nicht weniger. Nicht mehr.
Die Ermittler fürchten dennoch, dass sie ihren Job mit dem Prozessstart nicht beenden können. Der Generalbundesanwalt hält neun weitere Personen für Beschuldigte, gegen sie wurde noch keine Anklage erhoben. Harald Range erzählt deshalb gerne von der Methode Zwiebel. Nur ist man diesmal erst auf den Kern gestoßen. Geschält wird jetzt von innen nach außen.