Nürnberg. Ohne die Steuerpläne von SPD und Grünen sähe die FDP vier Monate vor der Wahl ziemlich blass aus. Nun wollen die Liberalen als “Stimme der Vernunft“ die Mittelschicht zurückerobern. Parteichef Rösler überzeugt beim Parteitag in Nürnberg als Anführer, sein Ex-Rivale Brüderle ergänzt ihn.

Die FDP hat sich auf einen harten Lager-Wahlkampf gegen SPD und Grüne eingeschworen und Geschlossenheit demonstriert. Die Delegierten verabschiedeten dazu auf dem Parteitag am Sonntag in Nürnberg das Wahlprogramm mit nur einer Gegenstimme. Mit der Konzentration auf Schuldenabbau und einem klaren Nein zu höheren Steuerbelastungen soll es einen Kontrast zu den Vorstellungen von SPD und Grünen bilden. Zudem stimmte der Parteitag einer vorsichtigen Öffnung für Mindestlöhne in einzelnen Branchen und Regionen zu. Er schloss sich damit der Position der Parteiführung an und ersparte dieser eine empfindliche Niederlage.

"Wir sind das Gegenmodell zu Rot-Grün: Die wollen gleiche Armut für alle. Wir wollen Wohlstand für alle", sagte Spitzenkandidat Rainer Brüderle in einer kämpferischen Rede. Rot-Grün wolle die Bürger "im ökosozialistischen Gleichschritt" marschieren lassen und vom Staat abhängig machen.

Liberale wollen "Steinbrücks böse Geister nicht"

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bezeichnete er als "brutalen Steuererhöher" und "sozialistischen Zauberlehrling". "Wir wollen Steinbrücks böse Geister nicht". Auch Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin wolle letztlich den Bürgern an die Gurgel. "Für mich ist er Graf Dracula für die deutsche Mitte", polterte Brüderle.

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FDP-Parteichef Philipp Rösler räumte auf dem Parteitag in Nürnberg großen Nachholbedarf bei der Chancengleichheit von Frauen ein. Von einer Frauenquote hält er jedoch nichts: "Diese Herausforderung lösen wir nicht mit Symbolpolitik", sagte Rösler. Es bringe die 18 Millionen berufstätigen Frauen nicht weiter, wenn es 200 weibliche Aufsichtsräte in Deutschland gäbe.

Union und FDP hatten im April mit ihrer Mehrheit im Bundestag eine rot-grüne Initiative zur Einführung einer gesetzlichen Frauenquote in Aufsichtsräten abgelehnt. Stattdessen kündigte die CDU unter dem Druck prominenter Befürworter wie Arbeitsministerin Ursula von der Leyen an, eine feste Quote ab 2020 ins Wahlprogramm aufzunehmen.

Am Vortag hatte sich bereits Parteichef Philipp Rösler auf Rot-Grün eingeschossen. Die Grünen seien gegen Fortschritt, Wachstum und alles, was ihrem Weltbild nicht entspreche. Sie seien "altbacken" und "miefig" und keineswegs die neue Bürgerlichkeit. "Wenn überhaupt sind sie die neue Spießbürgerlichkeit." Trittin wiederum sei "nicht der Robin Hood für einige wenige, sondern er ist der böse Räuber Hotzenplotz für alle in Deutschland". Der Grünen-Politiker konterte auf "Twitter": "Danke Philipp Rösler. Besser der Räuber Hotzenplotz als der Dimpfelmoser der Wutreichen."

Rösler prophezeit das Ende des "rot-rot-grünen Spuks"

Brüderle und Rösler riefen ihre Partei dazu auf, für die Neuauflage der schwarz-gelben Regierung zu kämpfen, die das Land vier Jahre lang erfolgreich regiert habe. "Deutschland wird nicht Peer-Land, Deutschland wird nicht Trittin-Land, Deutschland wird nicht Gysi-Land", versprach Brüderle. Rösler kündigte an: "Wir werden die anderen vor uns hertreiben bis zum 22. September, und dann ist endlich deren rot-rot-grüner Spuk vorbei." Die Sozialisten in Europa warteten nur darauf, dass SPD und Grüne die Steuern erhöhten, um damit die Schulden in Europa zu bezahlen.

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Von Daniel Freudenreich und Christian Kerl

Nach dem Ende ihrer Personalquerelen haben sich die Liberalen in den Umfragen wieder gefangen und liegen zwischen vier und sechs Prozent. Damit ist eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition wieder in den Bereich des Möglichen gerückt.

Rösler und Brüderle bemühten sich zugleich, die FDP als wichtiges Korrektiv der Union darzustellen. Auf CDU/CSU allein sei kein Verlass, wenn es um die Verhinderung zusätzlicher Belastungen für die Bürger gehe. Als Beispiel verwiesen beide auf die Forderung der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die FDP mache die Union besser, sagte Brüderle. "Wir sind das Upgrade der Unions-Parteien."

Liberale wollen Ehegattensplitting beibehalten

Im Wahlprogramm machen sich die Liberalen für einen energischen Schuldenabbau stark und erteilen jeglichen Steuererhöhungen eine Absage. Die Geldwertstabilität und eine Schuldenbremse will die FDP ins Grundgesetz aufnehmen.

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Anders als im Wahlkampf 2009 stehen Steuersenkungen dieses Mal nicht im Vordergrund. Finanzielle Spielräume wollen die Liberalen gleichwohl für Entlastungen nutzen. So tritt die FDP für "ein konsistentes, transparentes und einfaches Steuerrecht mit moderaten Sätzen und wenigen Ausnahmen" ein. Eine weitere Milliarden-Entlastung soll die schrittweise Absenkung des Solidaritätszuschlags bis zum Jahr 2019 bringen. Zeitlich festlegen will sich die FDP aber nicht.

Als weiteren Kontrast zu SPD und Grünen beschloss die FDP, das Ehegattensplitting beizubehalten. Kinder sollen aber einen Grundfreibetrag in derselben Höhe erhalten wie Erwachsene.

Beim Thema Mindestlohn tritt die FDP nun für Lohnuntergrenzen in solchen Branchen ein, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wegen der geringen Tarifbindung selbst keine Einigung erzielen können. Die Tarifpartner sollen die Mindestlöhne - etwa in einer Kommission - Branche für Branche festlegen.

Die bestehenden Instrumente zur Festlegung solcher Mindestlöhne sollen dazu ausgeweitet werden. Einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn lehnen die Liberalen weiter ab. Gegner des Kursschwenks wie Bundesvize Holger Zastrow und die Jungen Liberalen hatten gewarnt, durch Mindestlöhne würden Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt und die Wettbewerbsfähigkeit Ostdeutschlands gefährdet. (reuters)