Berlin. Die Verdächtigen des Terroranschlags von Boston sind unter anderem durch Videos schnell identifiziert worden. Nun flammt in Deutschland die Debatte um die Ausweitung der Videoüberwachung neu auf. Innenminister Friedrich (CSU) will mehr, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält Sicherheitsvorkehrungen für ausreichend.

Nach den Terroranschlägen von Boston hat sich Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) für mehr Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen ausgesprochen - und umgehend Kritik ausgelöst. Die Opposition, aber auch Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP), der oberste Datenschützer Peter Schaar und Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle warnten vor überzogenen Reaktionen.

"Die Ereignisse in Boston zeigen erneut, wie wichtig die Überwachung des öffentlichen Raums durch Videokameras für die Aufklärung schwerster Straftaten ist", sagte Friedrich der Zeitung "Bild am Sonntag". "Deshalb arbeiten wir zum Beispiel mit der Bahn daran, die Videoüberwachung an den Bahnhöfen zu stärken."

Gewerkschaft der Polizei lehnt flächendeckende Videoüberwachung ab

Für den Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, zeigen die Anschlagversuche in Köln 2006 und Bonn 2012 sowie der nun gelungene Angriff in Boston, "welche große Bedeutung eine Videoüberwachung bei potenziellen Anschlagsgefahren haben kann". Sie könne "abschreckend wirken und auch entscheidend bei der Aufklärung von Straftaten helfen", sagte er dem Magazin "Focus".

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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, er wolle sich weiter "für einen maßvollen Ausbau" der Kamerapräsenz einsetzen - besonders an Plätzen mit hoher Kriminalität sowie gefährdeten Einrichtungen. "Videoaufnahmen sind nicht nur bei Terrorakten ein gutes Mittel", pflichtete Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) in der Tagezeitung "Die Welt" (Montag) bei.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnt eine flächendeckende Videoüberwachung indes ab. Ihr Chef Bernhard Witthaut verwies im "Focus" auf das Bundesverfassungsgericht: "Karlsruhe hat abschließend entschieden, dass eine Videoüberwachung nur an gefährlichen Orten erlaubt ist."

Justizministerin: Anschlag sollte nicht instrumentalisiert werden

Der Präsident des Verfassungsgerichts, Voßkuhle, trat auf die Bremse: "Dass nach einem Ereignis wie in Boston sofort Forderungen formuliert werden, ist Teil des politischen Geschehens", sagte er der "Welt am Sonntag". "Bei der konkreten Umsetzung sollte dann aber wieder Besonnenheit einkehren." Deutschland habe die Herausforderung nach den Anschlägen des 11. September 2001 überzeugend bewältigt. Jedenfalls sei dies "weniger hysterisch als in manchen anderen Ländern" geschehen.

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Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wies Forderungen nach schärferen Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland zurück. "Der fürchterliche Anschlag von Boston sollte nicht für eine innenpolitische Debatte instrumentalisiert werden", sagte sie der "Welt am Sonntag". Deutschland verfüge über ausreichende Sicherheitsgesetze, das breite und differenzierte Instrumentarium solle man "nicht kleinreden". Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Schaar, sagte im Bayerischen Rundfunk über Friedrichs Vorstoß: "Ich warne vor solchen reflexhaften Forderungen." Es komme auf die Verhältnismäßigkeit der Sicherheitsmaßnahmen an.

Trittin: Forderung ist "Schäbigkeit aus der rechten Ecke"

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin sagte am Samstag auf der Landesdelegiertenversammlung der rheinland-pfälzischen Grünen in Bingen: "Das ist eine Schäbigkeit aus der rechten Ecke." Wer Verbrechen verhindern wolle, müsse für mehr Präsenz der Polizei in der Fläche und auf Bahnhöfen sorgen.

Der Verfassungsschutz zeigt sich derweil besorgt, dass der versuchte Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof auch gut vier Monate später noch nicht aufgeklärt ist. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein oder mehrere Täter im Land sind, die abermals einen Versuch unternehmen und dann vielleicht eine funktionsfähige Bombe einsetzen", sagte der Präsident des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen, der "Frankfurter Rundschau" (Samstag). (dpa)