Washington. . Das oberste Strafgericht in Rom hat entschieden, den Mordprozess gegen den “Engel mit den Eisaugen“ wieder aufzurollen. Ein Paukenschlag, der ausgerechnet zu dem Zeitpunkt kommt, da Amanda Knox ihr lange erwartetes Buch über die bisher vergebliche juristische Aufarbeitung des Mordes an Meredith Kercher veröffentlichen will.

Übersetzt man den Titel ihres mit vier Millionen Dollar Vorschuss entlohnten Buches, dann kann Amanda Knox es gar nicht abwarten, endlich ihre Sicht des auch nach sieben Jahren noch immer undurchsichtigen Tod der britischen Austauschstudenten Meredith Kercher in Süditalien darzulegen. In „Waiting to be heard“, das am 30. April mit hohen Erwartungen in Amerika in den Handel kommt, zeitgleich mit ihrem ersten großen Fernseh-Interview beim Sender ABC, verspricht die 25-jährige Studentin aus Seattle laut Verlag einen „ungeschönten“ Report über ihre Erfahrungen mit dem italienischen Justizsystem und einer prozessualen Achterbahnfahrt, die jahrelang die Weltpresse beschäftigte. Seit gestern drängt sich ein Zusatzkapitel auf.

Freispruch nach schlampigen Ermittlungen

Das oberste Strafgericht in Rom ordnete ein neues Gerichtsverfahren gegen Knox und ihren italienischen Ex-Freund Raffaele Sollecito an. Beide waren 2009 wegen Mordes an Meredith Kercher, die 2007 mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halbnackt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox‘ gemeinsamer Wohnung in Perugia gefunden worden war, zunächst schuldig gesprochen und zu Haftstrafen von 25 und 26 Jahren verurteilt worden. Knox und ihr Freund hätten Meredith beim Sex "aus Langeweile und unter Drogeneinfluss" getötet, heiß es im ersten Urteil.

Meredith Kercher wurde im November 2007 in ihrem Zimmer mit Dutzenden Messerstichen ermordet. Archivfoto: dapd
Meredith Kercher wurde im November 2007 in ihrem Zimmer mit Dutzenden Messerstichen ermordet. Archivfoto: dapd

Knox und Sollecito stritten jede Beteiligung an dem Mord ab. Ein dritter Verdächtiger, der Afrikaner Rudy Guede, wurde wegen des Verbrechens zu 16 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2011 hob ein Berufungsgericht die Urteile gegen Knox und Sollecito auf: Freispruch - aus Mangel an Beweisen. Und weil die Ermittler etwa bei der Sicherung von DNA-Proben massiv geschlampt hatten.

Die Prozesse sorgten vor allem in England, wo die Eltern des Opfers bis heute Gerechtigkeit verlangen und die Boulevardpresse der Amerikanerin scharfrichterlich das Image vom „Engel mit den Eisaugen“ verpassten, und in den USA, wo Knox eher als Justizopfer firmiert, monatelang für Schlagzeilen.

Zuletzt war es ruhiger um die Hauptbeteiligten geworden. Sollecito schrieb ein weitgehend bedeutungsarmes Buch über seine Sicht der Dinge und studiert in Italien Informatik. Knox setzte nach fast vier Jahren in italienischen Gefängnissen in Seattle ihr Studium („Kreatives Schreiben“) fort und frönt ihrem neuen Freund. Mit Hilfe des Washingtoner Prominenten-Anwalts Robert Barnett, der bereits ehemalige Präsidenten wie Bill Clinton zu Traumhonoraren verhalf, ließ sie die Rechte an ihrer Geschichte maximal gewinnbringend verkaufen. Allein das Interview mit ABC-Legende Diane Sawyer am 30. April soll nach Berichten von US-Bloggern einen zweistelligen Millionen-Betrag einbringen.

Mit angeklagt: Raffaele Sollecito
Mit angeklagt: Raffaele Sollecito

Nie mehr nach Italien

Geld, das offenkundig ab sofort dringend für diverse Anwälte gebraucht wird. Theodor Simon, Knox‘ Vertreter in den USA, betonte gestern, dass die gestrige Entscheidung in Rom, den Prozess neu aufzurollen, allein auf juristisch-prozessualen Fehlern der Vorinstanzen beruhe - „es gibt keinen einzigen neuen Beweis gegen Amanda Knox“.

Der in Italien stationierte Statthalter Carlo Dalla Vedova sekundierte mit der Prognose, dass ein neuer Prozess, an dem weder Knox noch Sollecito teilnehmen müssen, frühestens 2014 stattfinden könne. Und was dann? Sollte Knox schuldig gesprochen werden und dieses Urteil auch den Segen des Obersten Gerichtes in Rom finden - Zeitschiene laut Rechtsexperten: „2016 und folgende“ - wäre denkbar, dass Rom von der US-Regierung in Washington die Auslieferung von Amanda Knox fordert, die 2011 gesagt hatte, dass sie „nie wieder“ einen Fuß auf italienischen Boden setzen wird.

Der Fall Amanda Knox

Erleichtert zeigte sich Amanda Knox 2011 bei ihrer Ankunft in den USA – nun wird der Fall wieder aufgerollt.
Erleichtert zeigte sich Amanda Knox 2011 bei ihrer Ankunft in den USA – nun wird der Fall wieder aufgerollt. © REUTERS
Amanda Knox dankte nach ihrem Freispruch am Flughafen in Seattle den Menschen, die sie unterstützt haben. Vier Jahre lang saß Knox in Italien im Gefängnis, verurteilt wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs an einer Studentin. Kurz nach dem Freispruch...
Amanda Knox dankte nach ihrem Freispruch am Flughafen in Seattle den Menschen, die sie unterstützt haben. Vier Jahre lang saß Knox in Italien im Gefängnis, verurteilt wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs an einer Studentin. Kurz nach dem Freispruch... © AP
... überwältigen die Gefühle die junge Frau. Ihre Mutter (links) tröstete sie während einer kurzen Pressekonferenz. Amanda Knox...
... überwältigen die Gefühle die junge Frau. Ihre Mutter (links) tröstete sie während einer kurzen Pressekonferenz. Amanda Knox... © REUTERS
... hatte kurz zuvor Italien verlassen und ist in ihre Heimat geflogen. An ihrer Seite...
... hatte kurz zuvor Italien verlassen und ist in ihre Heimat geflogen. An ihrer Seite... © AP
... war auch ihre Schwester, Deanna Knox. In Seattle erwarteten Journalisten bereits...
... war auch ihre Schwester, Deanna Knox. In Seattle erwarteten Journalisten bereits... © AP
... die junge Frau. Der Prozess und der Freispruch haben weltweites Aufsehen erregt. Bei dem neuen Verfahren wird das Medieninteresse ähnlich sein. Nicht nur Journalisten...
... die junge Frau. Der Prozess und der Freispruch haben weltweites Aufsehen erregt. Bei dem neuen Verfahren wird das Medieninteresse ähnlich sein. Nicht nur Journalisten... © AFP
... auch ihre Freunde und Unterstützer empfingen Amanda Knox am Flughafen. Sie hießen die junge Frau...
... auch ihre Freunde und Unterstützer empfingen Amanda Knox am Flughafen. Sie hießen die junge Frau... © AFP
... willkommen. Überall zeigten 2011 die Menschen...
... willkommen. Überall zeigten 2011 die Menschen... © AP
... ihre Freude über den damaligen Freispruch. Auch vor dem Haus...
... ihre Freude über den damaligen Freispruch. Auch vor dem Haus... © AFP
... der Familie legten Menschen Blumen ab und hängten Plakate auf. Mit einer Boeing 747...
... der Familie legten Menschen Blumen ab und hängten Plakate auf. Mit einer Boeing 747... © AP
... war Amanda Knox aus Rom in die USA geflogen. In Italien am Flughafen...
... war Amanda Knox aus Rom in die USA geflogen. In Italien am Flughafen... © REUTERS
... konnte die junge Frau lächeln. Auch wenn sie...
... konnte die junge Frau lächeln. Auch wenn sie... © REUTERS
... in Italien vier Jahre in Haft saß, obwohl sie ihre Unschuld immer wieder beteuert hatte, wollte sie einmal zurückkommen. Aber zuerst...
... in Italien vier Jahre in Haft saß, obwohl sie ihre Unschuld immer wieder beteuert hatte, wollte sie einmal zurückkommen. Aber zuerst... © REUTERS
... wollte Amanda Knox mit ihrer Familie nach Hause. Alle haben sich...
... wollte Amanda Knox mit ihrer Familie nach Hause. Alle haben sich... © Getty Images
... über den damaligen Freispruch gefreut. Familie und Freunde lagen sich im Gericht in den Armen. Amanda Knox...
... über den damaligen Freispruch gefreut. Familie und Freunde lagen sich im Gericht in den Armen. Amanda Knox... © Getty Images
... war nach ihrem Freispruch überwältigt und...
... war nach ihrem Freispruch überwältigt und... © Getty Images
... brach in Tränen aus.
... brach in Tränen aus. © AFP
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Knox habe vor der jüngsten Entscheidung eine schlaflose Nacht in Seattle gehabt, berichtet Dalla Vedova. „Sie ist enttäuscht, aber nicht verzagt, sowas würde auch nicht ihrem Charakter entsprechen.“

Der Italiener Sollecito erfuhr die Hiobsbotschaft an seinem 29. Geburtstag: „Und ich dachte, man könnte nun einen Schlussstrich unter diese Sache ziehen“, sagt er.

Die Familie der Getöteten begrüßte die Aufhebung des Freispruchs.. Es gebe „noch immer unbeantwortete Fragen, und wir suchen alle nach der Wahrheit“, sagte Stephanie Kercher, die ältere Schwester des Opfers.