Washington. Amanda Knox kriegt vier Millionen Dollar Vorschuss für ein Buch über ihre vierjährige Zeit im Gefängnis. Die US-Studentin, deren Zimmernachbarin die Kehle durchgeschnitten wurde, verurteilte ein Gericht in Italien 2009 zu einer 26-jährigen Haftstrafe. Ein Berufungsgericht hob das Urteil wieder auf.
Als Amanda Knox im letzten Oktober in Italien freigelassen wurde, erwähnte ihr Vater Curt auffällig oft gegenüber den 400 aus aller Welt angereisten Reportern die Höhe des Tagebücher-Stapels, den seine Tochter in vier Jahren Haft zusammengeschrieben haben soll: einen Meter. Seit gestern weiß man, warum. Für vier Millionen Dollar Vorkasse hat sich laut “New York Times” der US-Verlag HarperCollins die Rechte an den Memoiren der 24-jährigen Studentin aus Seattle an der amerikanischen Westküste gesichert.
Die Frau mit den blauen Augen, die nach den Worten einer englischen Berichterstatterin, “so kalt wie der Stahl sind, der die Kehle Merediths Kercher durchschnitten hat”, schlägt Kapital aus einem spektakulären Mordfall, der die Weltöffentlichkeit bewegte. Knox war 2009 schuldig gesprochen worden, die Austauschstudentin und Zimmernachbarin Kercher (21) zwei Jahre zuvor im italienischen Perugia bei Sex-Spielen in ihrer gemeinsamen Wohnung missbraucht und brutal getötet zu haben.
Zweifel an dem DNA-Test
In einem reinen Indizienverfahren wurden Knox und ihr damaliger Ex-Freund, der Italiener Raffaele Sollecito, zu Haftstrafen von 26 und 25 Jahren verurteilt. Knox erklärte sich von Beginn an für unschuldig. Nicht nur in Amerika tobte dennoch über Monate ein medienwirksamer Streit über die War-sie’s-oder-war-sie’s-nicht-Frage. Im Herbst 2011 dann die Überraschung: Ein Berufungsgericht in der umbrischen Universitätsstadt hob das Urteil auf.
Die Richter hatten sich Zweifel an den DNA-Tests zu Eigen gemacht, die in der Vorinstanz noch zur Verurteilung geführt hatten. Freispruch nach vier Jahren Gefängnis! Knox’ Rückkehr nach Seattle wurde im Fernsehen wie ein Staatsakt behandelt. Seither balgen sich TV-Sender und Magazine um Interviews mit der als attraktiv geltenden jungen Frau, die Klage darüber führte, in der Haft von italienischen Justizbeamten sexuell belästigt worden zu sein.
Knox schirmt ihr Privatleben ab
Knox schirmt ihr Privatleben bis heute weitgehend ab und beauftragte mit Robert Barnett einen Vollprofi mit der Aufgabe, ihre italienische Lebensphase zu Geld zu machen. Viel Geld. Der blendend vernetzte Washingtoner Anwalt hatte bereits zuvor gut dotierte Buch-Verträge für Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama ausgehandelt. Diesmal konnte Barnett in Ruhe die Rosine aus der prall gefüllten Angebotsschale picken: Neben HarperCollins waren so ziemlich alle großen Verlagshäuser Amerikas von Simon & Schuster über Random House bis hin zur Penguin Group im Bietertopf.
Für Amanda Knox ist das Buch, das Anfang nächsten Jahres in den Handel kommen soll, laut Quellen aus ihrem Umfeld “überlebensnotwendig”. Wie die “Seattle Times” berichtete, steht Knox nach dem Prozess mit rund einer Million Dollar in der Kreide. Die Eltern sollen weitere Hypotheken auf ihr Haus aufgenommen und Altersrücklagen aufgezehrt haben, um Anwälte und andere Prozesskosten zu bezahlen. Auch die Oma von Amanda Knox soll sich mit einer Viertelmillion verschuldet haben, um der Enkelin zu helfen.
Ob das Buch ein Bestseller wird und die stolze Voraus-Gage wieder einspielt, ist für Buch-Experten strittig. In der amerikanischen Öffentlichkeit waren die Lager zuletzt übersichtlich getrennt: Die einen halten die junge Frau für ein unschuldiges Mädchen, das in finsteren italienischen Gefängnissen schmoren musste für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat. Die anderen sehen in ihr eine verflucht gerissene “femme fatale”, die mit einem bestialischen Mord davon gekommen ist.
Staatsanwaltschaft in Perugia legt Berufung ein
Als Referenzprojekt für das Buch-Genre gilt in USA derzeit die Geschichte von Jaycee Dugard, die entführt und 18 Jahre lang festgehalten worden war. Ihr “Ein gestohlenes Leben” wurde mit tüchtiger Fernseh-Interview-Flankierung bisher über 1,3 Millionen Mal verkauft. Noch unklar ist, ob Knox’ Buchgeschäft rechtzeitig zustande kommen kann.
Zu Beginn dieser Woche hat die Staatsanwaltschaft in Perugia Berufung gegen den Freispruch eingelegt und in einem über 100-seitigen Schreiben minutiös dargelegt, warum Knox und ihr Ex-Freund doch die Täter gewesen sein müssen. Folgen die Richter dem Ansinnen, könnte der Prozess im Juni wieder aufgerollt werden. Amanda Knox muss also schnell schreiben.