Washington. Er soll in einem Kino im US-Bundesstaat Colorado zwölf Menschen erschossen und 58 weitere verletzt haben: Bei einer Anhörung soll jetzt entschieden werden, ob der Mord-Prozess gegen James Holmes eröffnet wird oder er nach einem Schuldeingeständnis lebenslang in der Psychiatrie verwahrt wird.
Zwölf Tote. 58 Verletzte. 70 Namen. 70 Mal unendliches Leid. Als Matthew Fyles mit der Liste der Opfer vollständig durch war, immer wieder unterbrochen von präzisierenden Nachfragen der Staatsanwaltschaft, stiegen dem jungen Sergeant die Tränen in die Augen. Ganz anders wenige Meter entfernt, inzwischen bärtig und mit braunen, nicht mehr orangefarbenen Haaren, der Mann, der mutmaßlich am 20. Juli vergangenen Jahres ein Vorstadt-Kino in Aurora/Colorado kurz nach Beginn der Vorstellung des neuen Batman-Filmes in eine Hölle verwandelt hatte. James Holmes blieb auch am dritten Tag des Vorprozesses im Gerichtssaal von Centennial so wie seit seiner Verhaftung kurz nach dem Massaker: emotionslos, allenfalls körperlich anwesend.
Selbst in Momenten, in denen Journalisten und Angehörigen der Atem stockte. Als ein Video gezeigt wurde mit den Leichen zwischen den Kinostühlen. Als Original-Mitschnitte der 41 Handy-Anrufe eingespielt wurden, die nach Beginn der Schießerei aus Kinosaal 9 in der Polizei-Notrufzentrale eingegangen waren. Als junge Mädchen kreischend um ihr Leben flehten und berichteten, das links und rechts von ihnen „nur Blut ist und Menschen, die sich nicht mehr bewegen“.
Tote bei Schießerei im Kino
Drei Waffen und 6300 Schuss Munition
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Minutiös zeichnete die Anklage nach, mit wie viel Bedacht James Holmes offenbar den Massenmord vorbereitet hat. Über acht Wochen erstreckten sich die 16 Online-Einkäufe und mindestens zwei Besuche in Waffengeschäften, bei denen der 25 Jahre alte Student der Neurowissenschaften sein Tötungswerkzeug zusammengekauft haben soll; alles ganz legal. Am Ende habe er, so der Staatsanwalt, drei Waffen gehortet, darunter ein Schnellfeuergewehr vom Typ AR-15, wie es auch beim Schulmassaker in Newtown vor Weihnachten benutzt wurde, und 6300 Patronen Munition.
Die Zahl ist wichtig, sagte FBI-Fahnder Garrett Gumbinner. Im Kinosaal wurden nur 76 Hülsen gefunden. Holmes, der mit Helm, Gasmake, Schuss-Weste, Kehlkopfschutz und gepolsterten Spezialhosen zur Tat schritt, war wohl auf ein noch größeres Blutbad vorbereitet, sagen die Ermittler. Warum hat er dann vorzeitig aufgehört? Warum ließ er sich ohne jede Gegenwehr vor dem Kino festnehmen? Warum führte er selbst die Beamten zu seiner mit Napalm, benzingetränktem Teppich und Sprengsätzen ausgestatteten Wohnung, bevor das Haus in die Luft fliegen konnte? Und am allerwichtigsten: Ist Holmes, sollte sich seine Schuld erweisen, ein eiskalter Mörder - oder ein Irrer?
Verteidiger hält James Holmes für vermindert schuldfähig
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Tom Teves ist gekommen, „um zu verstehen, warum es passiert ist“. Sein Sohn Alex gehörte zu den zwölf Toten. Er wollte Antworten. Er ging leer aus. Holmes sagte in der Vorverhandlung, die formal die Notwendigkeit eines Hauptverfahrens klären soll, bisher kein Wort. Dafür machten seine Anwälte von sich reden. Als Schlüsselszene für die Strategie der Verteidigung gilt Gerichtsreportern wie John Ingold von der „Denver Post“ der Moment, als Gerichtsmediziner Michael Dobersen Auskunft über die grässlichen Schusswunden gab. Holmes‘ Anwalt David King wollte wissen, ob er „von der Autopsie Rückschlüsse auf den geistigen Zustand des Täters ziehen wird“. Dobersen schüttelte irritiert den Kopf. „Welche Geschichten können Einschusslöcher auch schon erzählen?“ fragt Ingold rhetorisch in seiner Reportage.
Verteidiger David King hält seinen Mandanten für vermindert schuldfähig. Dass Holmes kurz vor der Tat in einer Internet-Kontaktbörse ein Inserat mit der Überschrift „Wirst Du mich im Gefängnis besuchen?“ aufgegeben haben soll, ficht ihn nicht an. Die Entscheidung, ob es zu einem echten Mordprozess mit möglicher Todesstrafe kommt oder zu einem Schuldeingeständnis mit lebenslanger Verwahrung in der Psychiatrie, liegt nun bei Generalstaatsanwalt George Brauchler.