Charlotte. Ex-Präsident hält auf dem Parteitag der Demokraten in Charlotte ein leidenschaftliches Plädoyer für eine zweite Amtszeit von Barack Obama. Obama sei ein guter Präsident in einer schweren Zeit, sagte Clinton. Der amtierende Präsident bedankt sich mit einer langen Umarmung.
Bill Clinton kann Botschaften immer noch so locker und trotzdem präzise destillieren, dass sie am Ende auf einen Bierdeckel passen. Drei Tage Anti-Obama-Republikaner-Gipfel in Tampa fasst der 42. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika so zusammen: „Wir haben ihm einen große Haufen Dreck hinterlassen, er ist mit dem Aufräumen noch nicht fertig, also setzt ihm den Stuhl vor die Tür und gebt uns wieder die Schlüssel für das Weißen Haus.“
Irrtum, wenn es nach Clinton geht, der sich am Mittwochabend auf dem Parteitag der Demokraten in Charlotte in einem umfassenden, leidenschaftlichen und auf viele Fakten stützenden Plädoyer für die Wiederwahl Obamas ausgesprochen hat. „Ich will einen Mann nominieren, der nach außen hin cool ist, aber im Inneren für Amerika brennt“, rief der 66-Jährige den begeisterten Delegierten zu.
Unter ihnen Präsident Obama, der am Ende zur Überraschung der rund 22.000 Parteitagsbesucher zu Clinton auf die Bühne kam und sich mit einer langen Umarmung ausgiebig für die imposante Mischung aus Flankenschutz und Seelenmassage bedankte.
Clinton gewohnt argumentationslustig auf der Bühne
Anders, als ihn die Republikaner wahrheitswidrig karikierten, sei Obama ein guter Präsident in einer schweren Zeit, sagte Clinton, da er Amerika 2009 in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen vor dem Totalabsturz bewahrt und die Grundlagen für eine gute Zukunft gelegt habe. In Obamas Amtszeit seien bis heute 4,5 Millionen Jobs in der Privatwirtschaft entstanden. Genug? „Natürlich nicht“, sagte Clinton, „aber der Weg stimmt.“ Obama propagiere Bildung, Innovation, Forschung, Klima schonenden Energieverbrauch und soziale Gerechtigkeit. Außerdem: Noch nie sei die Gesundung einer kränkelnden Ökonomie „binnen einer Amtsperiode gelungen - weder mir noch einem meiner Vorgänger“.
In einer zweiten Periode, wenn Obama seinen Weg fortsetzen darf und die Republikaner ihre "verantwortungslose Blockade-Politik" aufgeben, werde der Aufschwung bei viel mehr Amerikanern ankommen als heute. „Davon bin ich aus tiefstem Herzen überzeugt“, sagte Clinton. Darum verdiene Obama unbedingt eine zweite Amtszeit.
Clinton, schlanker geworden, inzwischen weißhaarig aber kein bisschen weniger argumentationslustig, nahm die republikanischen Kritikpunkte an der ersten Amtszeit Obamas systematisch bis ins kleinste Detail auseinander. Haushalts-Defizit, Gesundheitsreform, Wirtschaftspolitik, Steuerreform – überall seien die Anwürfe bei Lichte betrachtet „unredlich“ oder „bewusst falsch gerechnet“. Die Fakten-Checker der großen US-Medien mussten eine Nachtschicht einlegen, um die Fülle der Querverweise zu untersuchen. Ergebnisse im Laufe des Tages.
Was für ein Amerika wollen wir?
Anders herum, sagte Clinton, werde ein Schuh draus. Die Republikaner, die mit ihrer Politik (zwei unterfinanzierte Kriege, Freifahrtscheine für die Wall Street) die Krise erst erzeugt hätten, wollten nun mit ähnlichen Instrumenten (Steuersenkungen für Reiche, radikale Sozialbudget-Kürzungen, Privatisierung der Krankenversicherung) ein zweites Mal Unheil anrichten.
Auch interessant
Clintons Botschaft war unmissverständlich: Gewinnt Mitt Romney die Wahl, dann werde der zaghafte Aufschwung, die langsame, aber stetige Verbesserung am Arbeitsmarkt kaputt gespart, weil Budgetkürzungen in der Dimension des Duos Romney/Ryan der Konjunktur den letzten Sauerstoff entzögen. „Das dürfen wir nicht zulassen.“
Clinton, der im Laufe seiner Rede immer besser wurde und oft vom Manuskript abwich, formulierte mit Blick auf den Wahltag am 6. November die aus seiner Sicht entscheidende Frage: Was für ein Amerika wollen wir? Eines, indem Wohlstand und Verantwortung eine gemeinsame Veranstaltung sind und der Starke dem Schwachen hilft – oder ein Land, in dem die Ellbogen-Mentalität der Finanzstärksten entscheidet und dem Rest bedeutet wird: Ihr seid auf euch allein gestellt?
Clinton ist Obamas wertvollster Wahlkämpfer
Die 6000 Delegierten, die wenig später Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden offiziell für die Wahl nominierten, spendeten langen Applaus im Stehen. Einige rieben sich die feucht gewordenen Augen. „In dieser Partei zu sein, bedeutet manchmal Glücksmomente wie diesen“, bilanzierte der 49-jährige Joe Markheimer aus Pennsylvania den Auftritt Clintons.
Man muss in der Tat kurz zurückblicken, um den Augenblick einzusortieren. Clinton hat das Weiße Haus schon vor über zehn Jahren verlassen. Mit seinem Namen verbinden sich bis heute unerreichte wirtschaftliche Erfolge in Amerika, aber auch privat-öffentliche Skandale. Seiner Beliebtheit tat das keinen Abbruch. Als Wahlkämpfer für seine Partei zog sich Clinton stark zurück, nachdem seine Frau Hillary 2008 vergeblich nach der Präsidentschaftskandidatur der Demokraten gegriffen hatte. Nicht sie, sondern Barack Obama wurde auf den Schild gehoben. Bill Clinton war pikiert und getroffen. „So einer hätte für uns die Koffer getragen“, soll Clintons damals in einer ersten Erregung über Obama gesagt haben. Wann genau die Schmollphase beendet war, ist nicht ganz klar.
Tatsache ist, dass sich der begnadete und hoch bezahlte Redner seit geraumer Zeit schon zu einem der wertvollsten Wahlkämpfer und wichtigsten Verteidiger der Obama-Präsidentschaft entwickelt hat. In Fernseh-Spots lässt er sich vor den Obama-Karren spannen und ficht mit Pathos für dessen Politik, die am Ende auch seine ist. Clinton weiß, dass Obama geschafft hat, was ihm trotz mehrfacher Versuche misslang: 40 Millionen Amerikanern mit einer Pflichtversicherung im Krankheitsfall die Existenzangst zu nehmen.