Washington. Mitt Romneys Fehler helfen dem amtierenden US-Präsidenten Barack Obama. Umfragen zufolge liegt er mit 52 Prozent der Wählerstimmen deutlich vor seinem Herausforderer, der auf 45 Prozent kommt. In einem Interview sagte Romney etwa, er suche jemanden, der „eine Vision für die Zukunft Amerikas habe“.
„Oh, mein Gott. Dies könnte der Moment gewesen sein, in dem Mitt Romney die Wahl verloren hat. Whow“. Eine landesweit beachtete Twitter-Meldung des einflussreichen konservativen Bloggers Erick Erickson auf „Redstate“ markierte am Donnerstag den jüngsten Tiefschlag für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney.
Um einem der allseits unter die Gürtellinie zielenden TV-Spots des Obama-Lagers den Wind aus den Segeln zu nehmen, in dem Romney einmal mehr als kaltherziger Kapitalist karikiert wird, der arbeitslos werdende Menschen und ihre Angehörigen im Krankheitsfall ins Unglück stürzt, lobte seine Sprecherin Andrea Saul im Fernsehen ausgerechnet jene Gesundheitsreform, die Romney als Gouverneur von Massachusetts vor Jahren ins Werk gesetzt hatte.
Obama führt so deutlich wie lange nicht mehr
Problem dabei: Das Gesetz gilt als 1:1-Blaupause für eben jene jüngst vom Obersten Gerichtshof abgesegnete Krankenversicherung, die Präsident Barack Obama gegen erbitterten Widerstand durchgesetzt hat und die Republikaner für die Wurzel allen demokratischen Übels im Land halten.
„Wer solche Eigentore schießt, muss sich nicht wundern, wenn es am Ende nicht reicht“, polterten einflussreiche Republikaner-Beobachter umgehend auf CNN mit Blick auf den Wahltag am 6. November.
Vom rapide Quote verlierenden Fernseh-Sender kam auch die jüngste Hiobsbotschaft in Zahlen für die Romney-Wahlkampagne. Danach liegt Obama in der aktuellen Umfrage mit 52 % so deutlich vor Romney wie seit Monaten nicht. Der Mormone kommt nur auf 45 %. In der umkämpften Gruppe der unabhängigen oder unentschlossenen Wähler hat Romney besonders stark Federn gelassen. Im Mai fanden ihn hier 40 % der Befragten unsympathisch, jetzt sind es 52 %.
Beim Republikaner-treuen Sender Fox News fällt die Zahlenspielerei nicht freundlicher aus: Obama 49 % - Romney 40 %. Wahlkamp-Analysten erklären die Umfragen mit Romneys weithin als verkorkst bilanzierter Europa- und Israel-Reise und einer „seltsamen Defensiv-Haltung“ des Kandidaten, der kraft- und ideenlos gegen sein Negativ-Image anrenne.
Obama beschimpft Romney als Anti-Robin-Hood
64 % der Amerikaner glauben, dass der Multi-Millionär, der sich beharrlich weigert, seine Steuererklärungen der vergangenen Jahre zu veröffentlichen, die Superreichen gegenüber der Mittelschicht bevorzugen würde.
In diese Kerbe schlägt auch Obama. Er schimpfte seinen Widersacher in dieser Woche einen Anti-Robin-Hood – er nimmt’s den Armen und beschenkt die Reichen. Chancen für Entlastungsangriffe lässt Romney verstreichen. Im Gegenteil. Nach dem Amoklauf in einem Tempel der Glaubensgemeinschaft der Sikhs verhedderte sich Romney peinlich und sprach in einer Rede von friedvollen „Sheiks“, was Muslime meint.
Nächster Patzer: Vom TV-Kanal NBC nach dem Dauerthema Vize-Präsidentschaftkandidat gefragt, wich der frühere Risiko-Kapital-Investor wieder einmal aus. Er suche jemanden, sagte Romney, der „eine Vision für die Zukunft Amerikas habe“. Beim Republikaner-Leitmedium „Weekly Standard“ frotzelten darauf Leser im Internet: „Wäre schön, wenn Romney zur Abwechslung mal seine eigene Vision erkennbar machen würde.“
100 Millionen Dollar Wahlkampfspenden allein im Juli
Im Konservativen-Lager sieht sich der Kandidat, der allein im Monat Juli 100 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden eingenommen hat, in punkto Stellvertreter-Wahl dem Druck ausgesetzt, mangelndes eigenes Charisma durch einen schillernden „running mate“ auszugleichen.
Das hier tonangebende „Wall Street Journal“ verlangte in einem Kommentar kategorisch, Romney müsse den Kongress-Abgeordneten Paul Ryan auf sein Ticket fürs Weiße Haus nehmen.
Der Kongressabgeordnete aus Wisconsin stehe „beispielhaft am besten für das, was bei dieser Wahl auf dem Spiel stehe“. Ryan, 42 Jahre alt, Marathonläufer, Vielarbeiter und der landesweit pointierteste Budget-Experte, ist die marktradikale Galionsfigur der staatskritischen Tea-Party-Bewegung innerhalb der republikanischen Partei.
Sein unlängst vorgelegter Haushaltsentwurf enthält die drastischsten Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich seit den 50er Jahren.
Dagegen würden die Steuern für Reiche abermals massiv gesenkt. Im Obama-Lager, hieß es gestern, würde man sich über eine Nominierung Ryans „sehr freuen“. (Dirk Hautkapp)