Essen. . Das WAZ-Wirtschaftsforum in Essen befasste sich am Montagabend mit der ständigen Erreichbarkeit des modernen Arbeitnehmers. Meist ist sie schädlich, nötig ist sie selten. Und so denken nicht nur Gewerkschafter. Auch bei Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger gibt's für die Dauer-Bereitschaft keine Pluspunkte.

Viele Arbeitnehmer sind ­mittlerweile jederzeit für ihre Firma erreichbar – per Mail, Telefon oder Smartphone. Dass die Grenzen ­zwischen Job und Privatleben zunehmend verschwimmen, hat beim WAZ-Wirtschaftsforum eine Debatte über die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit ausgelöst.

„Ich nehme in vielen Bereichen des Arbeitslebens eine permanente Arbeitsverdichtung wahr, die kaum noch ausreichende kreative Aus­zeiten oder Ruhepausen ermöglicht“, sagte der Vorsitzende des ­Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, bei dem WAZ-Forum, das auf dem Gelände des „Ideenparks“ in Essen stattfand.

Freiraum für Erholung

Nach Einschätzung von Thyssen-Krupp-Vorstandschef Heinrich ­Hiesinger ist es auch im Interesse der Unternehmen, den Mitarbeitern Freiraum für Erholung zu geben. „Die Anforderungen sind durch den weltweiten Wettbewerb sicher ­gestiegen. Aber rund um die Uhr ­erreichbar zu sein, ist trotzdem nicht nötig und auch nicht sinnvoll. Damit kann man bei mir auch keine Pluspunkte sammeln“, sagte Hiesinger.

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Michael Vassiliadis, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, warnte davor, die Menschen zu überfordern. „Menschen sind keine Maschinen, ­sondern brauchen auch Ruhe und Erholung“, gab er zu bedenken. ­„Viele Beschäftige fühlen sich aus­gepresst und unter Dauerstress.“ Die Folge sei eine Zunahme psychischer Erkrankungen.

Zurück zur Vor-Handy-Zeit? Das geht auch nicht

Vassiliadis warnte vor dem Trend zur „Allzeit-Bereitschaft“ und sagte: „Dem müssen dringend Grenzen ­gesetzt werden – realistische natürlich, denn ein Zurück zu den Zeiten, als es weder E-Mail noch Mobiltelefone gab, will ja auch niemand.“

Hiesinger sieht auch die Beschäftigten selbst in der Verantwortung. Wer keine Freizeit mehr habe oder keinen Urlaub mache, der sei ent­weder überfordert oder der Arbeitsrhythmus stimme nicht, sagte er. „Wer das nicht korrigiert, bekommt echte Probleme, denn über längere Zeit schwächt ein solches Verhalten die Leistungsfähigkeit.“

Erreichbarkeit im Notfall ist etwas anderes

Die Erreichbarkeit von Beschäftigten in einem Unternehmen oder einer Institution sollte so organisiert werden, dass sie sich nicht auf eine bestimmte Person reduziert, regte Präses Schneider an. Denn: „Stän­dige Erreichbarkeit ist ein totalitärer Anspruch, der etwas anderes ist als die Sicherstellung, im Notfall ­erreichbar zu sein.“