Essen. . Mit seiner Idee, ein betriebsinternes E-Mail-Verbot für die Weihnachtstage zu verhängen, hat Henkel-Chef Kasper Rorsted offensichtlich einen Nerv getroffen. Andere Top-Manager finden die Anregung sympathisch. Lob gibt es auch von Arbeitspsychologen.

Harald Wittig, Geschäftsführer der Einzelhandelskette Runners Point, fühlte sich spontan an den aktuellen Song von Tim Bendzko erinnert. „Muss nur noch kurz die Welt retten… Noch 148 Mails checken…“, singt der Berliner Musiker. Die Fülle der E-Mails im Geschäftsalltag sei mittlerweile fast zu einer Plage geworden, sagt Wittig. „Das Problem ist, dass unter den ­E-Mails eine wichtige sein könnte, die man übersieht.“

Auch die Grenzen zwischen Job und Privatleben verschwimmen: 88 Prozent der Berufstätigen sind auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder Vorgesetzte per Internet oder Handy erreichbar, wie eine Umfrage im Auftrag des Hightech-Verbandes Bitkom ergeben hat. Vor zwei Jahren waren es erst 73 Prozent. Fast jeder dritte Arbeitnehmer sei sogar jederzeit für berufliche Zwecke telefonisch oder per E-Mail erreichbar. Bitkom-Präsident Dieter Kempf urteilt: „Eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gibt es für die meisten Berufstätigen nicht mehr.“

Genau dies sei das Problem, sagt der Psychologe Dirk Windemuth, Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit (IAG) in Dresden. „Menschen tendieren dazu, im privaten Bereich geschäftliche Dinge zu erledigen – und im geschäftlichen Bereich private Dinge. Dass die Grenzen fließend sind, ist ungesund.“ ­Windemuth plädiert für eine klare Trennung, um „ein ungestörtes Privatleben“ ebenso zu ermöglichen wie „konzentriertes Arbeiten“.

Die Grenzen sind fließend und ungesund

Henkel-Chef Rorsted sagt, am Wochenende blende er die E-Mails komplett aus: „Ich schaue samstags morgens noch einmal auf den Blackberry, dann lege ich ihn für den Rest des Wochenendes weg, kümmere mich um die Kinder und lese keine Mails.“

Ähnlich hatte sich auch Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger kürzlich geäußert. „Im Urlaub bleibt bei mir auch das Handy die meiste Zeit abgeschaltet. Nur morgens und abends schalte ich es zur Sicherheit kurz ein.“ Bei ihm könne auch „niemand einen Pluspunkt gewinnen, wenn er keinen Urlaub macht“. Ein solches Verhalten sei kontraproduktiv. „Ich teste mich auch immer: Sehe ich meine Familie zu selten? Habe ich noch genügend Zeit für Sport? Wer nur arbeitet, verliert oft die Distanz, die zur Lösung von Problemen erforderlich ist.“ Er sei auch kein Mensch, der am Wochenende ins Büro geht, sagt Hiesinger. „Da will ich bewusst etwas anderes sehen. Man denkt nach, schließt einen Gedanken ab – und findet eine Lösung.“

Beim Autobauer Opel wird das Thema differenziert betrachtet. „Die weitaus meisten unserer Mitarbeiter müssen außerhalb der Arbeitszeit gar nicht erreichbar sein“, sagt Opel-Sprecher Stefan Weinmann. „Je mehr Verantwortung eine Position hat, desto größer ist natürlich auch das Risiko, dass es in einem Bereich einen Notfall geben könnte. In diesen Fällen wird von Führungskräften selbstverständlich erwartet, dass sie bereit sind, Überstunden zu leisten, und auch außerhalb der normalen Geschäftszeiten erreichbar sind.“

Arbeitgeber und -nehmer sollten klare Vereinbarungen treffen

Aus Sicht des Verbands Bitkom sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer klare Vereinbarungen treffen, wann jemand außerhalb der Bürozeiten ansprechbar sein muss. „Es ist grundsätzlich positiv, dass wir immer erreichbar sein können, wenn wir es möchten“, so Dieter Kempf. Aber genauso wichtig seien „bewusste Kommunikationspausen“.

„Von Zeit zu Zeit wäre eine Rückbesinnung nötig“, gibt auch Harald Schartau, Personalchef des Stahl- und Industrieunternehmens Georgsmarienhütte, zu bedenken. „Ist wirklich jede E-Mail notwendig? Muss man im Sekundentakt zurückschreiben?“ Schartau sagt: „E-Mails, Twitter und Facebook ändern nichts daran, dass die Menschen nur einen Kopf, zwei Beine und zwei Arme haben.“