Im Westen. Darf der Chef nach Feierabend noch anrufen? Bundesarbeitsministerin von der Leyen möchte klare Regeln für die Erreichbarkeit von Arbeitnehmern. Regionale Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter selbst entscheiden, ob sie am Wochenende ihre beruflichen Mails abrufen - wenn sie es überhaupt können.
Wenn am Wochenende das Diensthandy klingelt oder spätnachts noch Firmen-Mails beantwortet werden, dann hat das wenig mit Feierabend und Freizeit zu tun. Deswegen fordert Bundesarbeitsministerin Urslua von der Leyen klare Regeln, wie Chefs die Freizeit ihrer Mitarbeiter respektieren sollen. Unternehmen sollten genau festlegen, wann Mitarbeiter erreichbar sein müssen und wann sie getrost das Diensthandy ausschalten können.
Genau das lasse sich aber nicht pauschal festlegen, kritisieren Unternehmen aus Ruhrgebiet und Südwestfalen die Forderung der Ministerin. "Unsere Mitarbeiter im Vertrieb nutzen mittlerweile alle mobile Endgeräte, können also jederzeit ihre Mails abrufen", erklärt Günter Sickmann von der Volksbank Rhein-Ruhr mit Sitz in Duisburg. "Die Entscheidung, ob sie das auch am Wochenende oder spätabends tun, liegt in ihrer eigenen Verantwortung." Gerade wer im Kundendienst auch häufig unterwegs sei müsse auf diese Möglichkeit zurückgreifen können.
Pauschale Regelung sei nicht umsetzbar
"Durch unseren Kundenservice erreichen die Mails unsere Mitarbeiter auch am Wochenende, dann kann aber jeder Mitarbeiter selbst entscheiden, ob er diese Mail Samstag abends oder Montag morgens beantwortet." Eine Verpflichtung, die Mails sofort zu beantworten, gebe es nicht. Generell sei es auch so, dass "Mitarbeiter am Wochenende nicht mit Mails überschüttet würden". Ein pauschale Regelung für die Handhabung von dienstlichen Smartphones, Handys und Laptops in der Freizeit, wie es von der Leyen fordert, hält Sickmann für überflüssig. "Bußgelder sind nicht der richtungsweisende Weg, entscheidend ist für uns das Miteinander und Vertrauen zwischen Kunden und Mitarbeiter." Ein langjähriger Bankangestellter könne sehr gut einschätzen, ob er eine Kundenmail am Wochenende oder am Montag morgen beantwortet.
Betriebsräte müssten die Regelungen treffen
Verdi-NRW-Pressesprecher Günter Isemeyer begrüßt den Vorstoß von der Leyens, sieht aber ebenfalls wenig Sinn in einer pauschalen Regelung für alle Branchen. "Grundsätzlich ist Arbeitszeit Arbeitszeit und Freizeit Freizeit, und für alle etwaigen Überschneidungen gibt es bereits gesetzliche Regelungen für einen Ausgleich", sagt Isemeyer. Da die Anforderungen an die Arbeitszeiten in einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich sind, sieht Isemeyer die Betriebe individuell in der Pflicht. "Die Betriebe müssen mit den Betriebsräten Vereinbarungen treffen, wie ein Ausgleich für in der Freizeit geleistete Arbeit aussehen soll", meint der Verdi-Mann, "ein Katalog macht da keinen Sinn."
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Wer freiwillig am Wochenende E-Mails beantworte oder nach Feierabend den Anruf des Chefs entgegen nehme, sei ""selbst schuld". Das grundlegende Problem liege ohnehin woanders. "Das nimmt immer mehr Überhand, dass Arbeitnehmer auch Zuhause ihre beruflichen Mails beantworten", hat Isemeyer beobachtet, "das liegt meiner Meinung nach an dem privaten Umgang mit den Medien, die jetzt immer verfügbar sind." Jeder Arbeitnehmer müsse sich da auch selbst disziplinieren.
Gerade im Außendienst ist Trennung zwischen Freizeit und Arbeit schwierig
Klar Position bezieht Isemeyer, wenn es um Anrufe nach Dienstende geht. "Wenn ein Chef abends seine Leute anruft, obwohl es kein Notfall ist, dann geht das nicht", meint der Verdi-Pressesprecher, "das gehört sich einfach nicht." Auch das nehme allerdings zu, Klagen von derart Belästigten seien in der vergangenen Jahren immer mehr geworden.
Dass es gerade bei Mitarbeitern im Außendienst schwierig sein kann, Arbeits- und Freizeit klar zu trennen, weiß auch Ulrich Biene, Pressesprecher der sauerländischen Brauerei Veltins. "Unsere Außendienstler arbeiten vielfach im Home Office, da ist es natürlich besonders wichtig, Grenzen zu setzen", erklärt Biene. "Wer in diesem Bereich tätig ist, schätzt oft genau diese Flexibilität, dass er halt auch abends mal seine Mails abrufen und bearbeiten kann", weiß der Veltins-Sprecher. "Die Gestaltungsspielräume liegen da bei den Mitarbeitern, die Verantwortung für die bewusste Freizeit müssen sie selbst übernehmen."
Ständige Erreichbarkeit führe zu neuem Verständnis von Arbeit
Die Bundesarbeitsministerin habe durchaus richtig erkannt, dass dies ein schwieriger und belastender Bereich für Arbeitnehmer sei, aber auch Biene hält eine Differenzierung für notwendig. "Man muss die unterschiedlichen Berufswelten genau betrachten, gerade Smartphones führen zu einem gewissen Automatismus bei Angestellten, auch außerhalb der Arbeitszeit ihre E-Mails abzurufen", meint Biene. "Wir brauchen vor allem eine Bewusstseinsprägung, dass auch in der sich so rasant verändernden Arbeitswelt Raum sein muss fürs Durchatmen und Kraft schöpfen."
Bei der Versicherungsgruppe Signal Iduna mit Sitz in Dortmund sind berufliche E-Mails am Wochenende von vorne herein ausgeschlossen - zumindest bei einem Großteil der Angestellten. "Ungefähr 98 Prozent unserer Mitarbeiter haben am Wochenende gar keine Möglichkeit, ihre dienstlichen Mails abzurufen", erklärt Pressesprecher Edzard Bennmann.
Lediglich leitende Angestellte und ein eventueller Krisenstab verfügten über mobile Endgeräte, mit denen sie auch am Wochenende erreichbar und damit in der Lage seien, dienstliche Angelegenheiten am Wochenende zu regeln.
Handhabung liegt oft im Ermessen des Arbeitnehmers
"Bei uns gilt generell: Nach dem Ausstechen ist Feierabend, ohne Wenn und Aber", betont Bennmann, "natürlich gibt es auch Bereitschaftsdienste, aber die sind dann selbstverständlich als Dienstzeit geregelt." Bei der Versicherungsgruppe habe niemand eine Verpflichtung, nach Feierabend noch erreichbar zu sein.
Bei den Angestellten, die durch ihre Smartphones oder ähnliche Geräte in der Lage wären, auch am Wochenende ihre E-Mails zu lesen, hält es die Signal Iduna wie die anderen Firmen: "Das liegt im eigenen Ermessen, ob ich am Wochenende dienstlich Mails beantworte." Ansonsten garantiere eine Stellvertreter-Regelung aber, dass immer jemanden die Aufgaben eines anderen, der gerade im Urlaub weilt, übernehmen könne.