Essen.. Journalismus hautnah erleben: Das können Besucher des Ideenparks in der Messe Essen. Die WAZ-Mediengruppe ist in Halle 2 mit einer “Gläsernen Redaktion“ vertreten. Jeden Tag stellen sich prominente Interview-Partner dort den kritischen Fragen der Journalisten. Am Samstag sprach WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Im Sommerurlaub im Sauerland hat sich Hannelore Kraft mit Sport und Kartenspielen erholt. Auf dem „Ideenpark“ in der Essener Gruga wirbt die Ministerpräsidentin im Interview mit WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz für mehr Anstrengungen zur Bewältigung der Zukunft.
Sind unsere Kinder auf die technischen Herausforderungen vorbereitet?
Hannelore Kraft: Die Begeisterung für neue Technik ist hier spürbar. Unser gemeinsames Ziel muss sein, die richtigen Weichen in Familie, Kita, Schule und Hochschule zu stellen. Entscheidend ist, dies so früh wie möglich zu tun. Und Lernen zu lernen wird immer wichtiger. Praktische Beispiele wie der Ideenpark helfen sehr.
Sind Sie als Ökonomin ein Technik-Freak?
Kraft: Es fasziniert mich, wie Menschen neue Ideen entwickeln. Ich nutze neue Technologien aber nicht so schnell wie mein Sohn. Der Jugend fällt es viel leichter, diese Entwicklungen schneller aufzunehmen.
Die größten Entwicklungsschritte machen Kinder nach Angaben des TV-Kabarettisten Eckart von Hirschhausen im Mutterleib. Man kann gar nicht früh genug mit dem Lernen beginnen?
Kraft: Richtig. Deshalb geht es auch um die Eltern. Unser Ziel ist, kein Kind zurückzulassen. Das muss möglichst schon in der Schwangerschaft beginnen. Wir wollen landesweit ein Netzwerk mit frühen und gezielten Hilfen für Familien und Kinder aufbauen. In 18 Modellkommunen ist das schon angelaufen.
Roboter sollen unser Leben erleichtern. Macht das Angst?
Kraft: Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist beeindruckend. Roboter können uns vielleicht in der Zukunft im Alter in Alltagsdingen unterstützen, aber sie können Zuneigung und menschliche Wärme niemals ersetzen. Intelligente Technologie kann hilfreich sein. Wir möchten zum Beispiel, dass alte Menschen möglichst lange in der eigenen Wohnung leben können. Da hilft es, wenn ich das Fenster per Zuruf „Fenster auf“ öffnen kann.
Nur jeder zehnte Ingenieur ist eine Frau. Was tun?
Kraft: Man muss mehr Beispiele erfolgreicher Frauen zeigen, um die Ängste zu nehmen und Mädchen ermutigen und anspornen. Technik ist oft noch ein männliches Feld.
Was tun, wenn In der Schule Bio-, Chemie- und Physiklehrer fehlen, um für Naturwissenschaften zu werben?
Kraft: NRW reformiert die Lehrerausbildung, um einen stärkeren Praxisbezug im Unterricht zu erreichen. Im Bereich der Naturwissenschaften kommt etwas voran. Es gibt sehr gute Ansätze wie die Landesoffensive „Zukunft durch Innovation (zdi) für Schülerinnen und Schüler.
Hannelore Kraft über Geld für Forschung, das Handwerk und Staus
Fließt genug Geld in die Forschung, um weltweit auf Dauer mithalten zu können?
Kraft: Das Ziel, bis 2015 drei Prozent des Bruttosozialprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist noch nicht erreicht. Wirtschaft und Politik müssen noch mehr tun.
Wie wollen Sie mehr exzellente Forscher und Studenten für NRW gewinnen?
Kraft: In Exzellenzinitiativen bündeln wir wie in den USA einzelne Forschungsfelder. Das zieht auch ausländische Wissenschaftler an. An den Hochschulen werden häufiger Studiengänge in Englisch angeboten. Die deutsche Sprache war oft ein Hindernis.
Auch das Handwerk bietet neue Möglichkeiten, oder?
Kraft: Natürlich. Auch ein Elektromeister kann heute zum Studium an die Uni wechseln.
Eine funktionierende Infrastruktur ist für den Industriestandort NRW unverzichtbar. NRW ist das Stauland Nr.1. Was tun, Frau Kraft?
Kraft: Es gibt nicht die eine Lösung gegen den Stau. Durch intelligente Verkehrsleitsysteme lassen sich Ströme besser steuern. Doch wir müssen an den Schnittstellen von Straße, Schiene, Wasserstraßen den Güterverkehr besser verteilen. Mich ärgert, dass rund 40 Prozent der Lkw-Fahrten Leerfahrten sind. Hier hat die Lkw-Maut aber schon ein Stück weit geholfen. Aber zu oft sitzen auch noch Autofahrer allein in ihrem Wagen.
Zum Abschluss noch einige persönliche Frage. Wie viel Freiheiten geben Sie Ihren Ministern?
Kraft: Ich setze auf Teamarbeit und umgebe mich mit Menschen, die anders denken als ich. Diese Bandbreite führt zu besseren Entscheidungen. Man braucht eine gute Mischung zwischen Dialog und Führung. Natürlich gibt es am Ende auch Situationen, wo ich sagen muss, wo es lang geht.
Kein Interesse an der SPD-Kanzlerkandidatur?
Kraft: Ich habe „nein“ gesagt und mein Wort gegeben. Mein Ziel ist es, in NRW kein Kind zurückzulassen. Dieser Aufgabe will ich mich voll widmen. Das kann ich nur auf Landessache in Zusammenarbeit mit den Kommunen. Wenn es uns gelingt, dass mehr junge Menschen eine bessere Ausbildung machen, hilft das dem Wirtschaftsstandort NRW, spart massiv soziale Reparaturkosten und entlastet so die öffentlichen Haushalte nachhaltig.