Berlin. . Die schwarz-gelbe Reform des Wahlrechts ist in Karlsruhe gescheitert. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss die Politik jetzt unter Zeitdruck eine neue Regelung finden. Zur Not wollen die Verfassungsrichter selbst einen Vorschlag für ein Gesetz machen.
Die Freude bei der Opposition nach dem Urteil des Verfassungsgerichts war riesig, von einer „Ohrfeige“ für Schwarz-Gelb war allerorten die Rede — da goss der Grünen-Politiker Volker Beck ein wenig Wasser in den Wein: Man müsse jetzt sehr schnell ein neues Gesetz beschließen, mahnte Beck. Denn sollte die Kanzlerin demnächst etwa wegen der Euro-Krise im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und verlieren, „dann wären wir mitten in einer Staatskrise.“
Tatsächlich ist die Lage ernster als der Jubel der Kläger vermuten lässt: Auf den Bundestag kommt jetzt viel Arbeit zu, das Verfassungsgericht setzt das Parlament bewusst unter Druck: Das von Schwarz-Gelb durchgesetzte Wahlrecht sei nicht nur verfassungswidrig, urteilten die Richter. Weil sie schon das Vorgängergesetz verworfen hatten, sahen sie auch „keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren“. Im Klartext: Für die Bundestagswahl fehle nun eine wirksame Regelung, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.
Grundcharakter der Wahl ausgehebelt
Ein Paukenschlag. Die Begründung: Das neue Wahlrecht verletze die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien. Schwarz-Gelb hatte das Gesetz 2011 gegen den Widerstand der Opposition beschlossen, nachdem Karlsruhe das ursprüngliche Wahlrecht wegen der Möglichkeit verzerrender Wirkungen beanstandet hatte: Es ging um den Effekt des „negativen Stimmgewichts“ – das kann dazu führen, das Parteien unter Umständen durch zusätzliche Stimmen plötzlich weniger Sitze bekommen.
Aus ihrer Enttäuschung über die schwarz-gelben Reparaturbemühungen machten die Richter nun gar keinen Hehl: Das Ergebnis sei „ernüchternd“, tadelte Voßkuhle, der paradoxe Effekt des negativen Stimmgewichts bestehe weiterhin. Und: Überhangmandate, die den Effekt erst möglich machen, lasse das Wahlrecht nun in einem Ausmaß zu, das den Grundcharakter der Bundestagswahl aufhebe.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Sitze zustehen; derzeit hat der Bundestag 22 solcher Zusatzsitze, alle entfallen auf die Union, die wenig Interesse hatte, auf diese Bonus-Chance künftig zu verzichten.
Höchstgrenze von 15 Mandaten
Die ungleiche Gewichtung der Wählerstimmen sei aber nur in geringem Umfang hinnehmbar, urteilten die Richter. Misstrauisch gegenüber dem Gesetzgeber, legten sie gleich selbst eine Höchstgrenze von 15 Überhangmandaten fest. Zusätzliche Mandate wären künftig wohl nur möglich, wenn die anderen Parteien einen Ausgleich erhielten.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) drängte die Fraktionen, schnell eine einvernehmliche Lösung zu finden. Tatsächlich signalisieren alle Fraktionen jetzt Verhandlungsbereitschaft. In zwei, drei Monaten könne ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, glaubt der Grüne Beck. Ohne eine Verständigung droht allerdings noch nicht zwingend eine Staatskrise: Das Verfassungsgericht hatte schon angekündigt, notfalls selbst einen Gesetzesvorschlag zu machen, wenn sich die Parteien nicht einigen könnten.