Düsseldorf . Mit 237 Abgeordneten wird es ab diesem Donnerstag eng im NRW-Landtag. Die konstituierende Sitzung am Nachmittag bringt ein Parlament auf den Weg, über das Kritiker wettern, es sei der “teuerste Landtag in der NRW-Geschichte“. Oder bedeuten mehr Abgeordnete mehr Bürgernähe?
Knapp drei Wochen nach der NRW-Wahl kommt an diesem Donnerstag der neu gewählte Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Für 237 Abgeordnete beginnt damit ab 15 Uhr offiziell die Arbeit als Parlamentarier. Aufgrund von 56 Überhang- und Ausgleichsmandaten ist das Plenum der 16. Wahlperiode um ein Drittel größer nach der Wahl vom Mai 2010. Gemessen an der Zahl der Parlamentarier ist es der zweitgrößte Landtag in der NRW-Geschichte.
Der Grund: Die SPD ist im neuen Landtag mit 99 Abgeordneten vertreten. Alle wurden sie am 13. Mai direkt in den Wahlkreisen gewählt. Geht es nach dem Ergebnis der Zweitstimmen, hätte die SPD allerdings 23 Abgeordnete zu viel im Parlament ("Überhangmandate"). Um das auszugleichen, greift das Prinzip der "Ausgleichsmandate". Das heißt, die anderen Parteien bekommen zusätzliche Abgeordnete, weil man die Zahl der Direktkandidaten nicht senken kann.
Der Bund der Steuerzahler NRW wettert deshalb, das neue Parlament sei der "teuerste Landtag aller Zeiten". Rund 50 Millionen Euro Mehrkosten hat der Steuerzahlerbund errechnet - für die komplette fünfjährige Legislaturperiode und in Vergleich zum vorangegangen 181-köpfigen Landtag. Die Mehrkosten errechneten sich pro Abgeordneten aus monatlich 15.699 Euro, die sich aus 10.726 Euro Abgeordnetenbezüge plus 300 Euro Zuschuss zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen zusammensetzen. Hinzu kämen noch 4673 Euro Mitarbeiterpauschale und der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Insgesamt seien dies 10,6 Millionen Euro pro Jahr. Für den Steuerzahlerbund NRW Argument genug, eine Reform des Landes-Wahlrechts zu fordern.
Mehr Abgeordnete, mehr Bürgernähe?
"Demokratie sollte uns etwas wert sein", meint dagegen der Düsseldorfer Politik-Professor Ulrich von Alemann im Gespräch mit der WAZ. Seine Rechnung: "Wenn wir mehr Abgeordnete im Landtag haben, können diese 'Pro Kopf' auch mehr Wähler unmittelbar betreuen und vertreten." Dennoch findet auch von Alemann, dass das NRW-Wahlrecht "reformiert werden sollte, um die Überhang- und Ausgleichsmandate zu reduzieren."
Auch die Initiative "Mehr Demokratie" NRW kritisiert, dass der neue NRW-Landtag "wie ein Hefekuchen aufgegangen ist", wie Landesgeschäftsführer Alexander Slonka bemängelt. 237 Abgeordnete in einem Parlament, das vor wenigen Jahren durch einen Neuzuschnitt der Wahlkreise eigentlich dauerhaft verkleinert werden sollte, ist aus Sicht der Initiative nicht sinnvoll. Vielmehr sollten die Wähler "mehr Einfluss bei der personellen Zusammensetzung des Landtags bekommen" - indem die bisherigen Wahlkreise zu Wahlbezirken umstrukturiert werden, wodurch die Parteien nicht mehr einen Direktkandidaten im Wahlkreis anbieten, sondern nurmehr Listen, aus denen sich die Wähler ihre Favoriten sozusagen herauspicken, wofür man nicht mehr eine, sondern drei Stimmen verteilen können soll. "Weniger Überhang- und Ausgleichsmandate wären dabei ein positiver Nebeneffekt", glaubt Slonka.
Ärgernis Überhangmandate
Während Grüne und Piraten einer solchen Änderung mit Sympathie gegenüber stehen, wie Mehr Demokratie hervorhebt, ist aus den Reihen der Mehrheitsfraktionen von SPD und CDU im Landtag Kopfschütteln die überwiegende Reaktion, sagen Beobachter. Das Verteilen und Anhäufen von Stimmen auf Listen, wie es etwa in Bayern bei der Kommunalwahl möglich ist, hält Ulrich von Alemann nicht für praktikabel: "Das ist höchstens in Kommunen sinnvoll, wo die Wähler die Kandidaten noch persönlich kennen können. Auf höheren Ebenen bringt das nur 'Information overflow', weil die Wähler tischtuchgroße Wahlscheine kaum überblicken können."
Unterdessen steht ein ähnliches Thema kommende Woche auf der Tagesordnung des Bundesverfassungsgerichts. Der Duisburger Martin Fehndrich, Intiatiator des Internet-Portals Wahlrecht.de, klagt gegen das neue Bundes-Wahlgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung. Kommenden Dienstag, 5. Juni, ist die Anhörung in Karlsruhe. Mit Fehndrich ziehen auch die Bundestags-Fraktionen von SPD und Grünen gegen das Gesetz zu Felde, genauer: gegen das darin formulierte Prinzip des "negativen Stimmgewichts". Das sorgt für die bizarre Situation, dass sich gewonnene Stimmen für eine Partei sogar negativ auf deren Ergebnis auswirken können. Grund sind auch dabei: Überhangmandate. (mit dapd)