Berlin. . Die Bundesregierung darf den Bundestag bei der Euro-Rettung nicht mehr übergehen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilte am Dienstag, dass die Regierung das Parlament auch bei eiligen Entscheidungen nicht vor vollendete Tatsachen stellen darf. Mit dem einstimmigen Urteil gaben die Richter einer Organklage der Grünen-Fraktion statt.
Die Kläger frohlocken: „Abgewatscht“ habe das Verfassungsgericht die Bundesregierung, freut sich der grüne Finanzexperte Manuel Sarrazin. Klargestellt sei jetzt: Auch wenn die Kanzlerin auf dem Weg zu mehr europäischer Integration ein Nebengleis benutze, „muss sie für Deutschland den gleichen Fahrpreis bezahlen“.
Worüber hatten die Karlsruher Richter zu entscheiden?
Über zwei Vorgänge aus dem Februar 2011. Damals brachten die Kanzlerin und der französische Präsident den „Euro-Plus-Pakt“ auf den Weg, mit dem sich die EU-Länder zu mehr Gemeinsamkeit in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verpflichten sollten. Zugleich lagen Anfang 2011 erste Entwürfe für den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM vor, den dauerhaften Euro-Rettungsfonds. Über beides hat die Regierung den Bundestag trotz Aufforderung nicht umgehend informiert.
Auf welche Rechtsgrundlage beriefen sich die Kläger?
Auf Artikel 23 Grundgesetz, mit dem Bundestag und Bundesrat ein Mitwirkungsrecht „in Angelegenheiten der EU“ garantiert wird. Daraus folgt, dass die Regierung das Parlament „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten“ hat. Damit gibt es im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament einen Unterschied zwischen außenpolitischen und europapolitischen Fragen. In der Außenpolitik kann die Regierung freier agieren. Das Parlament hat hier nur das Letztentscheidungsrecht, etwa über völkerrechtliche Verträge.
Dagegen stehen Europa-Themen auf einer Stufe mit Fragen der deutschen Innenpolitik, damit die Übertragung deutscher Souveränitätsrechte auf die europäische Ebene unter parlamentarischer Kontrolle verbleibt.
Wie argumentierte die Regierung im Karlsruher Verfahren?
Sie berief sich darauf, dass ESM und Euro-Plus-Pakt keine „Angelegenheiten der Europäischen Union“ seien. Sie beträfen nämlich nicht alle 27 EU-Länder, sondern in erster Linie die 17 Mitglieder der Eurozone. Dem entsprechend fänden sie ihre Rechtsgrundlage auch nicht in dem für alle 27 geltenden europäischen Vertragswerk, sondern in völkerrechtlichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Regierungen. Damit seien die Maßnahmen zur Eurorettung in der Außenpolitik zu verorten.
Was folgt aus dem Urteil der Verfassungsrichter?
Um es nochmals mit dem Grünen-Experten Sarrazin zu sagen: Es führt kein Nebengleis nach Europa am Bundestag vorbei. „Um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt es sich auch bei völkerrechtlichen Verträgen, wenn diese in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen“, lautet der Kernsatz der Karlsruher Richter.
Damit ist klar, dass für Vereinbarungen zur Euro-Rettung, die nicht die gesamte EU betreffen, die Verpflichtungen aus Artikel 23 Grundgesetz gelten. Auch hier stehe dem Parlament eine „frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung“ zu, so das Gericht. Der Bundestag dürfe „nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle“ geraten.
Wann muss die Regierung spätestens informieren?
Sobald sie ihre Willensbildung soweit konkretisiert hat, dass sie „Zwischen- oder Teilergebnisse“ an die Öffentlichkeit geben oder darüber mit Dritten in einen „Abstimmungsprozess“ treten kann.