Berlin. Joachim Gauck ist zum 11. Bundespräsidenten Deutschlands gewählt worden. Der parteilose Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler erhielt im ersten Wahlgang der Bundesversammlung am Sonntag 991 Stimmen, wie Bundestagspräsdent Norbert Lammert (CDU) mitteilte. Die von der Linkspartei aufgestellte Gegenkandidatin Beate Klarfeld bekam 126 Stimmen, es gab 108 Enthaltungen.

Der neue Bundespräsident Joachim Gauck setzt auf eine gute Zusammenarbeit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ich habe ihr mein Vertauen angeboten und Offenheit und Loyalität. Wir haben uns in die Augen geschaut und ich habe keinen Grund zu Misstrauen", sagte Gauck am Sonntag in der ARD. Wenn Merkel seine Nominierung zum Präsidenten-Kandidaten ursprünglich habe verhindern wollen, werde sie ihre Gründe gehabt haben. Er gehöre zwar keiner Partei an, doch könne er sich Parteizwänge sehr gut vorstellen. Merkel habe ihm ihre Wertschätzung zu unterschiedlichen Situationen versichert, so auch jetzt. Merkel soll intern zunächst als Vorbehalt gegen Gauck geäußert haben, dass dieser nur das Thema Freiheit habe. Später hatte sie auf Druck der FDP aber eingelenkt und Gauck akzeptiert.

Gauck betonte zugleich, über die 108 Enthaltungen bei seiner Wahl sei er nicht enttäuscht. "Ich bin total glücklich. Das wäre ja sonst in der Nähe von DDR-Wahlergebnissen gewesen." Er sei stets ein Typ mit Ecken und Kanten gewesen. Da habe sich so mancher an dem ein oder anderen Wort gerieben.

Das Amt des Bundespräsidenten sieht Gauck nach der Affäre um seinen Vorgänger Christian Wulff nach eigenen Worten nicht als beschädigt an. Die Bürger müssten sich aber daran gewöhnen, dass die Amtsträger nicht einer aristokratischen Elite angehörten und nicht immer "Vorzeigemenschen" seien. Sie seien vielmehr Vertreter einer Bevölkerung, "in der es sehr breit zugeht zwischen äußerst begrenzt und begnadet".

991 Stimmen für Joachim Gauck

Der ostdeutsche Theologe Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident. Der 72-jährige frühere DDR-Bürgerrechtler erhielt bei der Wahl am Sonntag bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Auf den ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde entfielen in der Bundesversammlung 991 Stimmen. Nach seiner Wahl kündigte Gauck an, er werde an einer Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung mitwirken. Zugleich machte er deutlich, dass er die Bürger zu mehr Verantwortung für ihr Land ermuntern wolle. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Gauck als einen Menschen, der die Belange der Bürger im Auge habe und die Politiker achte. "Insofern wird es auch eine gute Zusammenarbeit werden", zeigte sich die CDU-Chefin überzeugt.

Gauck war der gemeinsame Kandidat von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen. Überraschend kam allerdings die Zahl von 108 Enthaltungen in der Bundesversammlung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, vermutete die Abweichler bei der Union, die sich erst auf Druck der FDP der Nominierung Gaucks angeschlossen hatte.

Für die von der Linkspartei nominierte deutsch-französische Journalistin und Nazijägerin Beate Klarsfeld votierten 126 Wahlleute und damit zwei mehr als die Linke stellte. Der Kandidat der rechtsextremen NPD, Olaf Rose, bekam drei Stimmen. Die dritte Präsidentenwahl innerhalb von drei Jahren war nötig geworden, nachdem Gaucks Vorgänger Christian Wulff im Februar nach wochenlanger Kritik in der Kredit- und Medienaffäre zurückgetreten war.

Gauck sagt mit Herzen Ja zur neuen Verantwortung

Gauck sagte in seiner Rede, er werde sicher nicht alle Erwartungen, die an ihn und seine Präsidentschaft gerichtet seien, erfüllen können. "Aber eins kann ich versprechen: Dass ich mit all meinen Kräften und mit meinem Herzen Ja sage zu der Verantwortung, die Sie mir heute übertragen haben." Dabei wolle er sich neu "auf Themen, Probleme und Personen einlassen". Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung "mit Fragen, die uns heute in Europa und der Welt bewegen". Es gehe darum, Verantwortung zu übernehmen. "Es ist der Mühe wert, es unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land 'Unser Land' sagen können."

Im Sender "n-tv" kündigte Gauck an, seine erste Auslandsreise nach Polen zu machen. Zugleich betonte er in Fernsehinterviews, er wolle die Bemühungen seines Vorgängers um eine bessere Integration von Migranten weiterführen. Über das Thema Freiheit hinaus werde er sich zudem der sozialen Gerechtigkeit widmen.

Der frühere Bürgerrechtler hatte die Wahl von der Besuchertribüne im Reichstag an der Seite seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt verfolgt und mit ihr gemeinsam am Morgen den ökumenischen Gottesdienst besucht. Zur Verkündung des Ergebnisses hatte Gauck zwischen den Abgeordneten von Grünen und Union Platz genommen. Anschließend schüttelte er zahlreiche Hände und nahm Blumensträuße entgegen.

Der 1940 in Mecklenburg geborene Kapitänssohn war von 1990 bis 2000 Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. 2010 war er Kandidat von SPD und Grünen für das Bundespräsidentenamt und genoss schon damals in der Bevölkerung hohe Sympathien. Union und FDP hatten sich damals jedoch für Wulff entschieden, der aber erst im dritten Wahlgang eine Mehrheit erhielt. 1999 war Gauck schon einmal als Kandidat im Gespräch gewesen.

Als früherer Pfarrer in Rostock war Gauck vor 1989 durch kritische Predigten aufgefallen. Von seinen wöchentlichen Gottesdiensten zur Veränderung der Gesellschaft in der Marienkirche gingen Massendemonstrationen im Herbst 1989 aus. Kritiker halten ihm aber vor, er trage das Etikett Bürgerrechtler zu Unrecht und habe nicht zur eigentlichen DDR-Opposition gehört.

Gauck sei Manns genug, sich dieser Kritik zu stellen

Gauck wird zudem eine Verengung auf das Thema Freiheit vorgehalten. Die Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Memet Kilic hatten offen angekündigt, Gauck nicht zu wählen - unter anderem, weil er sich kritisch zur "Occupy"-Bewegung geäußert und dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin wegen seiner Thesen zur Integration Mut bescheinigt hatte.

Merkel sagte, Kritik gehöre nun einmal zum Wesen der Demokratie. Gauck sei Manns genug, sich dieser Kritik zu stellen. Die Tatsache, dass mit ihr und Gauck zwei ostdeutsche Protestanten an der Spitze der Staates stünden, wertete sie als Zeichen dafür, dass die deutsche Vereinigung gelungen sei.

Spitzenpolitiker von Union, SPD, Grünen und FDP äußerten die Erwartung, dass Gauck kein bequemer Präsident sein werde. Es handle sich gleichwohl um einen "Glücksfall für die deutsche Geschichte, dass wir zur richtigen Zeit den richtigen Mann an der richtigen Stelle haben", sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Nach Ansicht des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier wird der 72-Jährige schnell Vertrauen wieder aufbauen. Zugleich warnte er davor, den neuen Mann an der Spitze mit Erwartungen zu überfrachten. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: "Gauck wird viele Dinge sagen, die auch den Grünen nicht gefallen werden."

Lammert hofft auf nächste Wahl erst in fünf Jahren

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zeigte sich überzeugt, dass Gaucks eigene Begeisterung für Demokratie auf das Volk überspringen werde. DGB-Chef Michael Sommer erwartet, dass Gauck "ausgehend von seinem Freiheitsbegriff auch seine politische Agenda um die Fragen der sozialen Gerechtigkeit" erweitern wird.

Bundestagspräsident Norbert Lammert äußerte die Hoffnung, dass die nächste Präsidentenwahl wie im Grundgesetz vorgesehen erst wieder nach fünf Jahren stattfinden wird. Es sei eine glückliche Fügung, dass künftige Präsidenten dann stets am 18. März gewählt oder vereidigt würden. Dieses Datum habe für die deutsche Geschichte eine besondere Bedeutung. Der CDU-Politiker erinnerte an die "Märzforderungen" von 1848 sowie die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990. (rtr)