Essen.. In der Debatte um Joachim Gauck ist eine Debatte um seine DDR-Vergangenheit entflammt. Alte Weggefährten behaupten: Der künftige Bundespräsident war gar kein DDR-Bürgerrechtler. Gauck-Biograf Norbert Robers widerspricht.
Was macht einen guten Bürgerrechtler aus? Reicht es, Pastor in der DDR gewesen zu sein und als solcher kritische Predigten gehalten zu haben, die sich mit Ökologie oder Frieden beschäftigen? Reicht es, seine Kinder so erzogen zu haben, dass sie lieber ihre Heimat verlassen als sich weiterhin den staatlichen Repressionen aussetzen zu müssen? Oder muss ein guter Bürgerrechtler mindestens einige Monate im berüchtigten Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen verbracht haben?
Joachim Gauck, der künftige Bundespräsident, wirkte bis zum Fall der Mauer in seiner Heimat Rostock, kümmerte sich um die Jugend, gründete Netzwerke mit anderen Pastoren, leistete damals, in den 1970er- und 1980er-Jahren Gemeindearbeit.
„Andere riskierten damals mehr“, sagt heute Gauck-Biograf Norbert Robers. Dennoch sei die jüngst aufgeflammte Debatte, ob der künftige Bundespräsident ein wahrer Bürgerrechtler war oder nicht, „schlicht abwegig“.
„Andere riskierten damals mehr“
Einer, der als „Urgestein des Widerstands in der DDR“ gilt, ist Hans-Jochen Tschiche, ein Mitbegründer des Neuen Forums und ein ehemaliger Pfarrer wie Gauck. Tschiche hält die Nominierung Gaucks zum Bundespräsidenten für einen schweren Fehler. Das Amt sei eine Würdigung, „die er nicht verdient“, erklärte der mittlerweile 82-Jährige vor einigen Tagen in einer Stellungnahme. Schließlich sei er zu DDR-Zeiten niemals Joachim Gauck begegnet, „er hat niemals zur DDR-Opposition gehört“.
„Und doch spielte er mit dem Teufel“, zitiert Biograf Robers Gaucks Weggefährten Sybrand Lohmann, der ebenfalls Pfarrer in Rostock war. Immerhin habe die Stasi Joachim Gauck mehr als argwöhnisch beobachtet: „In seiner Akte wird ihm eine anti-sozialistische, feindliche Einstellung attestiert“, so Robers. Doch weil Gauck nicht im Rahmen der DDR-Bürgerbewegungen in Erscheinung trat, „war er auch kein Dissident“, erklärt der frühere Bürgerrechtler und heutige Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, Werner Schulz, im Magazin „Cicero“.
„Bürgerrechtler der späten Stunde“
Das änderte sich im Sommer 1989. Die Mauer stand noch, als Gauck sich entschloss, in Rostock Demonstrationen zu organisieren. Im September dann, zwei Monate bevor durch den Fall der Mauer die Gefahr vorüber war, initiierte er mit anderen das Neue Forum – und dieser Schritt „machte ihn zum Bürgerrechtler“, sagt Martin Schulz. Allerdings zu einem Bürgerrechtler der späten Stunde, fügt der Grünen-Politiker hinzu.
Dass nun frühere Weggefährten mehr oder weniger erregt diskutieren, wie oppositionell Gauck war – „möglicherweise steckt auch Neid und Verbitterung dahinter“, mutmaßt Norbert Robers. Immerhin stehe jemand im Focus, der nachweislich nicht an der Spitze der Bewegung stand. Im Übrigen habe Gauck auch niemals behauptet, der „Oberhäuptling“ gewesen zu sein. Er wisse, dass andere mutiger waren und sogar Gefängnisstrafen riskiert hätten.
„Jochen Gauck“ – der Biograf nennt ihn so, wie er auch in Rostock bekannt ist – „wollte zumindest in den 70er- und 80er-Jahren die DDR von innen reformieren.“ Er sei dagegen gewesen, auszureisen. „Wenn alle klugen Köpfe gehen, dann hat das Land keine Chance mehr“, sei seine Haltung damals gewesen.
Im Scheinwerferlicht
Seine Weggefährten werfen dem künftigen Bundespräsidenten vor, sich zu stark an den „kapitalistischen Westen“ angelehnt zu haben. In der Tat wollte Gauck die Wiedervereinigung, stimmte für den von Günther Krause und Wolfgang Schäuble ausgehandelten Einigungsvertrag; die Mitglieder des Neuen Forums waren aber mehrheitlich dagegen. „Das bundesdeutsche System wollte Leute, die sich anpassten. Gauck ist so, wie sie ihn brauchten“, sagt Pfarrer Tschiche dazu in der „Süddeutsche Zeitung“.
Dass nun Weggefährten die Frage stellten, mit welchen Federn sich der künftige Präsident schmücke, „ist legitim“, sagt Norbert Robers. Doch ihnen fehlte wohl Gaucks Gabe, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Gauck duckt sich nicht weg, wenn Scheinwerfer an sind“, sagt der Biograf. Ihn als eitel zu bezeichnen, gehe aber an den Tatsachen vorbei. Gauck sei einfach redegewandt und selbstsicher. Robers: „Er hat die entscheidenden Fähigkeiten, ein guter Präsident zu sein.“